klären & lösen – Agentur für Mediation in Berlin

Ausgleich in der Mediation

Wie begegnen wir uns im Konflikt? | Newsletter 4/2012

Und weil wir Menschen sind, helfen wir einander. Wir hören es nicht gerne, wenn sich jemand dafür bedankt. Was ich heute bekomme, bekommst morgen vielleicht du. (David Graeber)

In der Mediation geht es immer auch um einen Ausgleich. Ausgleich für empfundenes Unrecht, materiellen Ausgleich oder einen „Ausgleich der Gefühle“. Wenn wir dies akzeptieren müssen wir uns jedoch auch fragen, mit welchen Vorstellungen von einander sich die Parteien in der Mediation begegnen und welche Vorstellung wir von einem gerechten, fairen Ausgleich haben.

Ausgleich hat immer etwas damit zu tun, dass wir davon ausgehen, dass uns jemand etwas schuldet, oder wir in jemandes Schuld stehen.

Schulden bei jemanden haben, und wir meinen hier nicht nur ökonomische Schulden, bedeutet auch mit dem anderen in Kontakt zu sein. Sind die Schulden bezahlt, ist abgerechnet, gibt es auch keinen Grund mehr für soziale Beziehungen. Zudem gibt es „Schulden“, die niemals abbezahlbar sind. Die „Schulden“ die wir als Kindern gegenüber unseren Eltern gemacht haben oder das, was wir gegenüber unseren Eltern im Alter leisten. Dies ökonomisch gegeneinander aufzurechnen wäre schlichtweg lächerlich. Offenbar handeln wir als Eltern, Kinder, Liebespartner usw. nach einem anderen Prinzip.

In unterschiedlichen sozialen Situationen handeln wir nach unterschiedlichen moralischen Prinzipien. Ein gerechter Austausch, nach dem Motto „Wie du mir, so ich dir“ findet nur manchmal statt, oft gelten andere Vorstellungen von Gerechtigkeit oder Fairness.

Mediation findet immer dann statt, wenn die Beziehungen zwischen Partnern schwierig geworden sind. Aber sie waren einmal Partner. Ist es nun plausibel, nur weil die Beziehung nicht mehr gut ist, von einem Prinzip des Umgangs miteinander auf ein völlig anderes umzuschalten?

Grob gesagt können wir uns als Teilnehmer/innen eines Marktes begegnen und dann beginnen zu handeln. In der ökonomischen Theorie handeln wir dann als interessensgeleitete Akteure, die all ihre Optionen und Alternativen kennen und dann rational nach Kosten und Nutzen abwägen, um das Optimum für sich herauszuholen. So verbreitet diese Sicht auch ist, so wenig handeln wir im Alltag danach. Vielmehr handeln wir häufig nach anderen Grundsätzen.

David Graeber, ein amerikanischer Anthropologe beschreibt in seinem Buch „Schulden – die ersten 5000 Jahre“ drei grundlegende Formen der sozialen Interaktion: Kommunismus, Tausch und Hierarchie, wobei die erstere die grundlegende Form des Zusammenlebens des Menschen darstellt, die beiden anderen sich daraus entwickelt haben.

Kommunismus als Prinzip bedeutet in diesem Zusammenhang „jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen“. In Liebesbeziehungen ist das selbstverständlich, sonst müsste es für jeden Gefallen einen Ausgleich geben, oder zumindest Buch geführt werden, um den Ausgleich später herzustellen. Die meisten von uns würden das als Ende der Beziehung interpretieren. Aber auch in Arbeitskontexten verfahren wir nach diesem Prinzip: „Gib mir einmal den Hammer“ wenn ich auf der Leiter stehe, wird von meinem Kollegen ja nicht mit „Was bekomme ich dafür?“ beantwortet. Folgen wir diesem gesellschaftlichen Organisationsprinzip leben wir mit der Annahme, dass wir von jedem etwas erwarten können, es sei denn er ist unser ausdrücklicher Feind. Zudem gilt auch, dass wenn Aufgaben wirklich erledigt werden sollen, es am einfachsten und effektivsten ist, die Aufgaben nach Fähigkeiten zu verteilen und denen, die sie erledigen, das zu geben, was sie dafür benötigen.

Letztlich erkennen wir in dieser Form des Handelns an, dass wir als Menschen von anderen Menschen abhängig sind. Deswegen sind unsere Interaktionen auch nicht primär auf Ausgleich gegründet, wenigstens nicht in einem unmittelbaren Sinn. Es liegt eher folgende Annahme zugrunde: Die andere Person würde dasselbe für mich tun, aber nicht, dass sie es tun wird. Zum anderen kommt hier die Empathie ins Spiel: In unseren Interaktionen mit anderen Menschen, mit denen wir nicht im Konflikt sind, können wir schwerlich die Lebenssituation des anderen ausblenden und damit in unser Handeln mit einbeziehen.

Die Situation ändert sich freilich, wenn wir im Konflikt miteinander sind. Zwar sind wir über den Konflikt noch verbunden, doch die zentralen Währungen des Miteinanders, Vertrauen und Kooperation, sind aufgebraucht. Je höher der Konflikt eskaliert ist, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass der andere zum Feind wird. Mit dem Ende des „Kommunismus“ in der Beziehung beginnt das Prinzip des Tausches zu greifen. Tausch bedeutet, dass ich für das, was ich gebe, etwas Gleichwertiges bekommen möchte, sonst gebe ich meins nicht her. Während intakte, vollwertige soziale Beziehungen immer ein Gefühl der Unendlichkeit beinhalten, sind Interaktionen, die auf Tausch beruhen, endlich und jederzeit beendbar, nämlich genau zu dem Zeitpunkt zu dem der Tausch vollzogen wurde. Du bekommst 100.000 Euro, ich bekomme dafür das Haus. Danach müssen die Parteien im Prinzip nichts mehr miteinander zu tun haben, sie sind quitt. Das ist etwas völlig anderes als ein Geschenk oder eine gegenseitige Hilfeleistung. Trotzdem, eine gewisse Basis des Vertrauens braucht auch der Tausch, sonst bleibt das Gefühl des betrogen worden seins.

Mediation findet zumeist dann statt, wenn Menschen von dem Prinzip „Kommunismus“ als Basis ihrer Beziehung weggehen und ihre Beziehung auf Tausch umstellen (müssen). Dies ist ein schmerzhafter Prozess, der es aber ermöglicht Beziehungen zu beenden, also im wörtlichen Sinne, abzurechnen. Natürlich ist das keine Einbahnstraße, und es gibt immer den Weg zurück. Und zumindest impliziert der Tausch ja noch die formale Gleichheit.

Zudem ist es ja auch ein Ziel von Mediation, verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen. Wenn ich auf getroffene Mediationsvereinbarungen blicke, habe ich den Eindruck, dass zumindest in Teilbereichen wieder eine Form des Kommunismus in den Beziehungen eintritt. Es wird eben nicht auf Heller und Pfennig abgerechnet, zumindest dann nicht, wenn die Parteien nach der Mediation noch miteinander zu tun haben werden.

Literatur:
David Graeber: Schulden – Die ersten 5000 Jahre. Stuttgart, 2012

(Michael Cramer)