GFK als School of Life
4 Schritte - 4 Lebensbereiche | Newsletter 2/2022
Fast jeder hat schon mal von ihr gehört. Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) von Marshall Rosenberg hat sich in den letzten 15 Jahren einen Platz in der vordersten Reihe der Softskills gesichert. Zu Recht, wie wir finden. Dennoch - so manch einer schaut skeptisch auf die vier Schritte der GFK. Das mag daran liegen, welcher Interpretation dieses Modells wir begegnen. Wir wollen jedwede Auslegung verstehen und sind dennoch nicht mit jeder Auslegung einverstanden. Wir verbinden mit der GFK kein Heilsversprechen einer friedvollen Welt oder ewiger Konfliktfreiheit. Wir sind auch nicht scharf auf ein Sprachkorsett. Wir wissen genau, dass Konflikte zu unser aller Leben gehören und das in Beziehungen Konflikte nun mal vorkommen. Aber - wir wissen auch, dass wir Dissens/Konflikten auf eine konstruktive oder eine konfliktschürende Art und Weise begegnen können. Also - Beziehungs- und Konfliktverhalten kann gelernt werden. Bingo - und da setzt die GFK an. Wenn man die GFK modern interpretiert, hat Rosenberg als Psychologe und Mediator aus unserer Sicht ein fantastisches Modell von großer Tiefe und Anwendbarkeit geschaffen. Mit vier einfachen Schritten (Bewertung/ Gefühle/ Bedürfnisse/ Bitten) gibt er uns nicht nur einen sehr anwendbaren Gesprächsfaden an die Hand, sondern macht darauf aufmerksam, worum es im Leben und oft auch in der Beratung geht. Aber aufgepasst, die GFK ist einfach aber nicht simpel.
Die GFK ist ein Kompass für unsere Berater:innenfähigkeiten
Denken wir an unseren Beratungs-/ Mediationsalltag stellen wir fest: Es geht fast immer um Beziehungen. Die Beziehungen zu Mitmenschen, zur Führungsebene, zu Kolleg:innen, zu Freund:innen, zur Familie oder zu uns selbst. Dort wo Menschen Leben miteinander teilen- gibt es Beziehungswünsche und Konflikthaftes. Beobachtungen, Gefühle, Bedürfnisse und daraus resultierende Bitten/Forderungen (die vier Schritte Rosenbergs) sind nicht nur Gesprächsleitfaden, sondern ebenfalls vier zentrale Aspekte in der Begleitung/Beratung. Aber kennen wir uns genügend mit diesen vier Aspekten aus? Und inwiefern können uns Kenntnisse helfen?
Ein Newsletter kann die Komplexität der vier Schritte nicht umfassend erläutern, das wissen wir. Aber lassen Sie uns kurz gemeinsam einen Blick auf den 1. Schritt des GFK Modells werfen - Bewertungen. - Bewertungen entstehen aus Erfahrungen. Wenn wir anfangen, unsere Gedanken zu beobachten, fällt uns schnell auf, dass wir ständig bewerten. “Möchte ich das?” “Ist das gut oder schlecht?” “Nützt mir das?” Somit ist klar, Bewertungen sind allgegenwärtig, wichtig und ganz normal. Ja, es ist normal und es reicht, wenn wir uns im Alltag rückmelden, dass der Vorgesetzte sehr nett oder Frau Müller wirklich sehr unfreundlich ist. Bei näherer Betrachtung stellen wir jedoch fest, dass wir mit diesen Aussagen nichts, aber auch gar nichts konkretes erfahren haben. Wir haben keinerlei Vorstellung davon, was den Vorgesetzten „nett“ oder Frau Müller „unfreundlich“ sein lässt. In privaten Gesprächen ist das für uns häufig auch nicht wirklich relevant. Uns reicht die Information, dass offensichtlich irgendetwas als unangenehm/angenehm empfunden wird. Unausgesprochen beginnen wir das Gesagte innerlich zu interpretieren (die Kollegin ist bestimmt von oben herab/und mit dem Chef kann man lachen). Ob das stimmt, wissen wir nicht, aber es reicht uns. Wir interpretieren automatisch, gern und viele hundert Male pro Tag. In der Beratung/Mediation hingegen reichen „nebelige“ Informationen oft nicht aus. Wir brauchen klare, konkrete Aussagen um einen Sachverhalt einordnen und angemessen begleiten zu können. Wir brauchen einen Shift - weg von Bewertungen hin zu Beschreibungen doch dieser Unterschied ist bei weitem nicht jedem geläufig. Als Beratende:r ist es unabdingbar diesen Unterschied zu kennen. Aus einer Bewertung eine Beschreibung zu machen, ist, wie wir in unseren Ausbildungen sehen können, für viele gar nicht so einfach. Deshalb gilt: Kein Marathonläufer geht ohne Training an den Start, kein Schauspieler ohne Probe auf die Bühne. Somit tun wir gut daran, den Transfer von Bewertungen zu Beschreibung in unserem Alltag zu trainieren. Beobachten heißt sich an Tatsachen halten: Was genau habe ich gesehen oder gehört? Was haben wir konkret erlebt oder wahrgenommen? So wird aus einem „Ich finde Sie einfach sehr unfreundlich Frau Müller“ eine Aussage mit konkretem Inhalt. „Frau Müller, sie gehen morgens an mir vorbei, ohne guten Morgen zu sagen… (keine Sorge, darauf folgen in der GFK weitere Schritte). Der Unterschied dieser Aussage ist, dass wir lediglich eine Verhaltensweise beschreiben und kein Urteil über Frau Müller generell abgeben. Frau Müller ist nämlich an anderer Stelle überaus freundlich. Sie macht täglich den Kaffee für das ganze Team, was sie nicht muss. Beschreibungen stigmatisieren nie die ganze Person. Sie beleuchten einzelne Aspekte/Verhaltensweisen einer Persönlichkeit und lassen die vielen, anderen angenehmen Persönlichkeits- und Charakteranteile unangetastet.
GFK Kenner:innen wissen, besonders in Konfliktsituationen ist es ratsam auf Bewertungen zu Beginn eines Gesprächs zu verzichten. Bewertungen gehören zu den trennenden Gesprächsmustern. Sie erschweren gleich zu Beginn jegliche Offenheit für einen Gesprächsfluss und fördern Abwehr. Oder haben Sie Lust auf einen Gesprächsbeginn wie: „Du bist in letzter Zeit sehr unzuverlässig?“
Beratende sind Übersetzer:innen und Pfadfinder:innen
Konflikte sind häufig neblig, diffus und eigentlich möchte sie keiner ansprechen. Wenn es endlich zur (Aus)Sprache kommt, wird es leider oftmals nicht besser. Wenn das Fass zum Überlaufen voll ist, bleibt wenig Zeit über die Regeln guter Kommunikation nachzudenken. Die Frage bleibt also, wie schafft man es, konstruktiv zu kommunizieren, wenn man eigentlich auf 180 ist? Unsere Antwort ist: Indem wir uns gerade jetzt auf die 4 Schritte der GFK besinnen, in welcher Reihenfolge auch immer.
Stattdessen greifen Menschen besonders in konflikthaften Situationen auf bekannte Kommunikationsmuster zurück und wenden häufig „gewaltvolles kommunizieren“ an. Vorwürfe, Anschuldigungen, Themenklau, ungefragte Ratschläge, Vergleiche, Bewertungen, Bagatellisierungen gehören zu den trennenden Kommunikationsmustern und diese tun genau das, was sie versprechen - sie trennen. GFK-Geschulte Begleiter:innen erkennen jedoch trennende Muster sofort. Sie hören gleichzeitig die unausgesprochenen und teils unbewussten Bedürfnisse hinter den Aussagen der Klient:innen und bieten Übersetzungen an. Tadaaaa - schon sind wir bei Schritt 3 der GFK - Bedürfnisse. Kenntnisse und ein Vokabular zum Thema Bedürfnisse helfen in der Begleitung von Menschen ungemein. Sie sind unverzichtbar oder wie sonst wollen wir unser Gegenüber spiegeln oder gegebenenfalls übersetzen? Aber Hand aufs Herz - wie viele Bedürfnisse fallen uns spontan ein? Essen und trinken? Die GFK sagt im Gegensatz zur Maslowschen Pyramide, dass es sich hierbei eher um Strategien, denn um Bedürfnisse handelt. Sind wir sicher in der Unterscheidung zwischen Strategien und Bedürfnisse und haben wir Antworten darauf, warum das wichtig ist?
Bedürfnisse sind für Menschen in allen Prozessen zentral. Oft leitet das Erkennen von Bedürfnissen eine entscheidende Wende im Prozess ein. Die GFK setzt auf Berührung. Wenn sich Klient:innen statt mit Vorwürfen mit Bedürfnissen konfrontieren, zeigen sich häufig erste Veränderungen im Prozess. Wie entlastend ist der Moment, wenn aus einem: „Wir sind überhaupt kein Team, wir sind ein Haifischbecken und jeder lügt dem anderen hier was vor, ätzend!“ ein „Mich stresst es, dass wir momentan offensichtlich kein Vertrauen zueinander haben. Um gut miteinander arbeiten zu können, brauchen wir aber Vertrauen und die Gewissheit, dass wir uns auch Kritisches rückmelden können“. Das Schöne ist, alle Menschen haben dieselben Bedürfnisse - so die Theorie der Gewaltfreien Kommunikation. Das was wir kennen können wir meistens auch verstehen. Und aus den unendlichen Weiten des GFK möchten wir Ihnen hier noch einen tröstlichen Gedanken anbieten- es gibt keine schlechten Bedürfnisse. Das heißt, auch wenn wir das ewige Nachfragen der Kollegin nervig finden, können wir, wenn wir nur wollen, eine positive Intention vermuten. Dieser Schritt dient niemals als Entschuldigung für ein unliebsames Verhalten, sondern lediglich dazu, uns in eine positive Gestimmtheit zu bringen, in der ein Gespräch über das „nervige Nachfragen“ überhaupt erst möglich ist. Deshalb - auf der Bedürfnisebene kommen Menschen sich nahe. Der Unterschied ist lediglich, wie wir unsere Bedürfnisse umsetzten. Wenn es uns also gelingt hinter jedem Verhalten das Bedürfnis zu erahnen und diese Übersetzung in den Prozess einbringen, leisten wir als Beratende einen sehr konstruktiven Beitrag, der häufig Konflikte dreht.
Wenn man nichts mehr fühlt, ist man wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Wir möchten jetzt schlussfolgern, dass alle Newsletterleser:innen glücklicherweise am Leben sind und sich somit auch mit ihren Gefühlen auskennen. Gefühle sind unsere täglichen Begleiter. Sie sind unermüdlich bei uns und man könnte meinen, wir sollten sie gut kennen. Aber kennen wir uns wirklich aus? Unsere Erfahrungen - weit gefehlt. In unseren Ausbildungen stellen wir fest, dass auch auf diesem Terrain ein wenig Auseinandersetzung guttut. Wir benutzen nämlich häufig Begriffe, die mit Gefühlen eher wenig gemein haben.
Wir sprechen hier von sogenannten Täter- oder auch von Pseudogefühlen. Eins können wir verraten; unser Wortschatz an Tätergefühlen übersteigt unseren Wortschatz echter Gefühlsbegriffe häufig um ein Vielfaches ohne dass wir uns darüber bewusst sind. Das ist insofern ungünstig, weil Gefühle in Konflikten eine wirklich große Rolle spielen. Aber wie wollen wir Klient:innen spiegeln, wenn uns die Worte fehlen? Unsere Klient:innen brauchen gerade in Konfliktsituationen unsere Expertise und dazu gehört auch hier ein entsprechendes Vokabular. Schauen wir mal in unseren Alltag. Wie oft ist die Reaktion der Gegenseite harsch, obwohl wir doch gerade ganz offen unsere Gefühlslage veräußert und unser Herz auf den Tisch gelegt haben. Auf ein „ich fühle mich überhaupt nicht gewertschätzt im Team“ folgt häufig Abwehr statt Verständnis. Aber warum? Ein:e achtsam:e Berater:in ist sich bewusst, dass wir hier unbewusst einen Vorwurf, statt eine Ich-Botschaft platziert haben, weshalb die ersehnte Reaktion ausbleibt. Wem das auffällt, kann eine elegante Übersetzung anbieten - ohne Belehrung natürlich. So wird aus einem „Ich fühle mich nicht gewertschätzt“ eine wirkliche Gefühlsäußerung im Sinne von „Ich bin frustriert, weil ich mir wünsche, dass meine Einfälle auch berücksichtigt werden.“
Last but not least lohnt sich die Auseinandersetzung zum Thema Bitten und Forderungen. Bitten erfüllen in Gesprächen eine wirklich wichtige Aufgabe. Sie sind beziehunsgstiftend und entastend. Aber was ist eine Bitte und was ist eine Forderung? Was macht eine Bitte überhaupt attraktiv? Wann ist eine Forderung nötig und können auch Forderungen wertschätzend sein? Wie gehen wir mit einem Nein um? Ach, wir könnten noch sehr, sehr viel Sinnvolles über das Rosenbergsche Modell erzählen, aber für einen ersten Aufschlag reicht es an dieser Stelle, oder?
Die GFK als School of Life
Aber auch wenn wir keine Coaches, Supervisor:innen oder Mediator:innen wären, aus unserer Sicht, können wir die Kenntnisse die GFK in unser aller Survivalpack sehr gut gebrauchen. Wir alle brauchen im ganz normalen Leben Kompetenzen, um Beziehungen zu gestalten, allem voran Klarheit. Die GFK ist eine große Klarheitsförderin. Wer sich auf die GFK einlässt, formuliert klarer was er/sie braucht, setzt mutiger Grenzen dort, wo sie nötig sind, und stärkt das eigene Selbst- Bewusstsein. Wer sich seiner selbst- bewusst ist, kann sich zeigen. Und nur wer sich zeigt, kann auch gesehen werden. Die GFK ermutigt uns die eigene Meinung zu vertreten und regt an, weich zu bleiben, wenn es hart auf hart kommt. All das ohne „Ringelpietz mit Anfassen“ versteht sich. Langsam, aber sicher sagen wir auf diesem Weg mit der GFK: Bye bye Konfliktangst und entwickeln ein Vertrauen, dass wir alles an Bord haben, was Konflikt- und Beziehungsweisheit verlangt. Frieden, Verständigung und Kooperation zwischen Menschen ist nicht nur ein Ziel, sondern darf auch eine Weile Methode sein. Und ganz allmählich wird die Methode zur Haltung. Dieser Transfer bringt die entscheidende Wende. Gelingt dieser Transfer nicht, agieren wir nicht im Sinne von Gewaltfreier Kommunikation. Das alles mit vier Schritten? Wir sagen ja! Und nein! Wir müssen nicht reden wie Roboter und wir werden auch keine Sprachpolizei. Ganz im Gegenteil! Die GFK ist kein Kommunikationsknast, kein Konfliktunterdrückungsmodell und schon gar kein "Wir haben uns alle lieb Modell“. Es braucht Mut sich authentisch zu zeigen und das lernen wir mit dem, was uns Marshall Rosenberg an die Hand gibt. Ihr wisst ja was wir uns als Agentur auf die Fahne geschrieben haben. Wir stehen für klären und lösen. Die GFK leistet einen spannenden Beitrag dazu. Versprochen!
(Tamara Rohloff und Kristin Kirchhoff
Jährlich, immer ab März bieten wir eine GFK-Grundausbildung im Umfang von 70 Zeitstunden an.