Mediation lernen und lehren
Newsletter 2/2023
Mediation zu lernen ist das eine, Mediationen durchzuführen und sich dabei sicher und wohlzufühlen etwas anderes. Eigenes Wissen und Erfahrung an andere weiterzugeben z.B. als Ausbilder:in, ist ein nächster Schritt, den wir uns in diesem Newsletter mal genauer anschauen möchten.
Wir kennen das alle: Wenn man über ein Gebiet sehr wenig weiß, erscheint es ganz einfach. Je mehr man darüber weiß, umso komplexer wird es. Mit allem, was wir in unserem Leben schon erlernt haben, ging es uns so. Aller Anfang war schwer und der Weg hin zu einem souveränen Umgang zwischendurch auch mal frustrierend. Handwerkliche Fähigkeiten mögen hier ein gutes Beispiel sein. Wenn ich erst einmal weiß, für was bestimmte Werkzeuge gut sind und im Prinzip weiß, wie sie zu benutzen sind, gilt es dieses Wissen anzuwenden und mit den realen Herausforderungen umzugehen. Tapete, Tapeziertisch und Kleister sind ein guter Anfang. Nun kommen die Tücken mit der Beschaffenheit der Wand, der Widerspenstigkeit der gekleisterten Tapete, des Umgangs mit Rändern usw. Wie mit allem wird es beim Tapezieren so sein, dass die ersten Zimmer schwieriger sind, als wenn wir das schon 20-mal gemacht haben. Mit Erfahrung werden wir besser. Auf einer ganz anderen Ebene würde es liegen, wenn wir jemandem das Handwerk beibringen, ihn oder sie gar zur Meister:in auszubilden wollten.
Auf den ersten Blick erscheint Mediation ganz einfach zu sein. Fünf Phasen und ein paar Techniken. Je tiefer wir in die Materie eintauchen, je mehr Erfahrungen wir in den ersten Rollenspielen oder Mediationen sammeln, um so komplexer wird die Sache. Um dieses Phänomen näher zu betrachten, möchten wir hier verschiedene Arten von Wissen unterscheiden. Das von uns gewählte Modell unterscheidet sich etwas von den Lernstufen, die von „unbewusst inkompetent“ über „bewusst inkompetent“ hin zu „bewusst kompetent“ und „unbewusst kompetent“ gehen. Wir wollen hier zwischen Know-what, know-how, know-why und care-why unterscheiden und etwas darüber hinaus gehen1
Know-what (Faktenwissen)
In diesem Modell steht am Anfang das Erlernen von Faktenwissen. Wir müssen bestimmte Dinge wissen, um Menschen im Konflikt begleiten zu können. Phasen der Mediation, Gesprächstechniken, Analysetools, Wissen um unsere Haltung. Wir haben darüber in unserem Newsletter 4/2022 geschrieben. Da diese Fakten im Falle unserer Profession aber auch in den Nachbargebieten wir Supervision oder Coaching nicht so komplex sind, ist die Lernkurve am Anfang steil. Wir bekommen recht flott einen Überblick über das, was man wissen oder können könnte.
Know-how (prozedurales Wissen)
Übung macht den Meister oder anders gesagt: Wenn Theorie auf Wirklichkeit trifft. Schon in den ersten Rollenspielen, erst recht aber in den ersten Mediationen merken wir, dass sich Menschen in der Wirklichkeit nicht immer so verhalten, wie wir es in der Theorie erwarten würden. Eine Technik, die sich in der Ausbildung einfach anhört, funktioniert vielleicht nicht so gut wie wir es erwartet hätten. Das mag mehrere Gründe haben: Wir haben sie nicht ganz so angewendet, wie sie gedacht war, wir haben die Situation falsch eingeschätzt oder ganz schlicht: wir haben vergessen zu improvisieren. Improvisieren heißt, kleine Anpassungen vorzunehmen, so dass es auch für diese reale Kundschaft passt.
Theoretisch gesprochen geht es um die Fähigkeit eine Technik (know-what) passend in den Prozess einzubinden (know-how). Das braucht neben Zeit, in der sich das Faktenwissen setzen kann, vor allem Übung. Und Übung bedeutet auch, dass man immer wieder an Grenzen gerät. Das kann frustrierend sein, denn diese Form des Lernens geht leider nicht so schnell, wie Faktenwissen zu sammeln. Aber es kann sich lohnen, denn das, was man gelernt hat, internalisiert sich mehr und mehr. Es ist wie beim Autofahren, man muss mehr und mehr nicht mehr über Gänge, die Funktion der Scheibenwischer usw. nachdenken, sondern nutzt das Fahrzeug intuitiv – und das ohne den Straßenverkehr, oder unsere Medianden, aus dem Blick zu verlieren.
Know-why (Zusammenhangswissen)
Know-why bedeutet, spezifisches Wissen aus einem Feld, wie z.B. Mediation, verbindet sich mit dem, was man schon vorher kannte, und dem, was man in der die Tätigkeit neu erlernt. Es geht um die Zusammenhänge. Wie hängen meine Haltung, meine Gesprächsführung, spezifische oder gesellschaftliche Belastungssituationen mit meiner Arbeit zusammen. Wie beeinflusst die Denkweise einer Branche meine Mediation? All das sind Fragen, die auf dieser Wissensstufen in den Blick genommen werden können und in Beziehung gesetzt werden.
Nachdem wir zu Beginn unserer Mediationstätigkeit viel damit beschäftigt waren, Mediation als solches hinzubekommen und viel über ganz praktische Fragen der Gestaltung der Prozesse ausgetauscht haben, hat sich über die Zeit unser Fokus verschoben. Nun reden wir viel mehr über die Auswirkungen und Chance von Mediation in bestimmten Branchen, darüber wie wir Mediation mit anderen Beratungsangeboten ergänzen können usw.
Das hat natürlich auch Effekte, auf das wie wir in unseren Mediationen und Beratungen arbeiten. Es ergeben sich neue Möglichkeiten und Freiheiten, gleichzeitig nehmen aber auch die Fragen zu. Es sind aber weniger Fragen nach: Wie geht das? Sondern mehr Fragen nach: Wie hängt das zusammen?
Man wächst mit seinen Aufgaben. In den ersten Workshops zu Mediation, von Ausbildungen war damals noch gar nicht die Rede, sind wir ganz schön geschwommen. Klar, den eigentlichen Inhalt hatten wir im Griff, Fragen von Teilnehmer:innen, die über den unmittelbaren Inhalt hinausgingen, oder den Inhalt kritisch hinterfragt haben, waren nicht so leicht zu beantworten. Unsere These ist, dass es auch daran lag, dass wir noch dabei waren, die Zusammenhänge (know-why) zu durchdringen.
Care-why (Orientierungswissen)
Wie kann sich das Feld weiterentwickeln, was sind die größeren Zusammenhänge, in denen das betrachtet werden kann? Das sind die Fragen, mit denen man sich auf dieser Wissensstufe auseinandersetzen kann. Das Wissen über das Was, Wie und Wann ist weniger explizit als implizit geworden. In dem anderen oben erwähnten Modell würden wir hier von unbewusster Kompetenz sprechen.
Wollen wir unser Wissen weitergeben, zum Beispiel als Trainer:in oder Ausbilder:in für Mediation, muss man es allerdings wieder vom Großen und Ganzen ins Konkrete bringen. Wie kann ich das, was ich weiß, so vermitteln, dass es zum einen interessant und gleichzeitig anschlussfähig ist. Als Erwachsene lernen wir, indem wir das Neue mit unseren schon vorhandenen Wissensbeständen abgleichen, dieses darin zu integrieren. Dieser Prozess ist auch einer des Überbordwerfens von liebgewonnenen und wohlerprobten Gewohnheiten und Glaubensätzen.
Die Forschung hat gezeigt, dass Menschen Informationen, die ihren Überzeugungen zuwiderlaufen oder auch nur different zu dem sind, was sie für richtig oder wahr halten, weniger gut aufnehmen, als Informationen, die das bestätigen, was sie schon wissen.
Zwei Beispiele aus unserem Feld mögen dies illustrieren: Um Menschen von den Vorteilen der Mediation zu überzeugen, die sich schon lange in hochkompetitive Umfelder hineinsozialisiert haben und darin auch gut zurrechtkommen, bedarf es viel stärkerer Impulse als bei Menschen, die in sehr konsenorientierten Umfelder wirken.
Nachdem ich schon viele Jahre als Mediator gearbeitet habe und mein Handwerk auch – so wenigstens mein Eindruck - gut beherrschte, habe ich eine Supervisionsausbildung gemacht. Von den Techniken wie auch von der Haltung ist das nicht so anders als Mediation. Vieles was ich in der Ausbildung erfahren habe, zumindest im ersten Teil, habe ich abgeglichen, mit dem was ich schon aus der Mediation kannte. Und wenn ich auf meine ersten Supervisionen zurückblicke, waren diese stark von der Mediation geprägt. Ständig habe ich mich auf die Suche nach Konflikten gemacht, ein Terrain, auf dem ich mich sicher fühlte.
Anwenden, lehren, begleiten
Wie gesagt, Mediation ist komplex. Und Menschen Mediation beizubringen auch. Hierfür braucht es geeignete Begleitung. Diese Begleitung sollte uns ermutigen, Hilfestellung geben, aber auch kritisch-konstruktiv mit uns auf das schauen, was noch anpassungsbedürftig ist.
In der Mediation ist eine supervisorische Begleitung der ersten Fälle – und idealerweise auch später noch – mittlerweile Standard. Diese Supervisor:innen sollten nicht nur ihr Fach durchdrungen haben, sie sollten auch offen für die Begleitung und Unterstützung von Menschen in ganz unterschiedlichen Lagen sein. An unseren Supervisionen für Mediator:innen nehmen immer Menschen teil, die Mediation von ganz unterschiedlichen Ausbilder:innen und Schulen gelernt haben. Und – so erstaunlich es auch sein mag – da gibt es zum Teil ganz erhebliche Unterschiede. Nicht nur in der Terminologie, sondern auch in dem, was in den Phasen geschehen sollte, welche Techniken geeignet sind usw. Das ist sehr lehrreich – für die Teilnehmer:innen wie auch für uns als Supervisor:innen – und gleichzeitig herausfordernd, denn es stellt das, was wir selber für angemessen halten, immer wieder in Frage.
Das bedarf einer ganz klaren supervisorischen Kompetenz, um diesen Rahmen zwischen Reflexion und Wissenslücken aufzufüllen, kritisch-konstruktiver Begleitung und Nachjustieren zu ermöglichen und zu halten. Und wir leisten damit, wie wir finden, einen wertvollen Beitrag zur Sicherung der Qualität unserer Profession und helfen mit, dass Mediation seinen guten Ruf behält und von Kund:innen mit einem guten Gefühl nachgefragt werden kann.
Supervisor:in für Mediation werden
Ab September 2023 bieten wir eine 40-stündige Weiterbildung für erfahrene Mediator:innen genau hierfür an: Supervisionskompetenz für Mediator:innen. Darin möchten wir uns zum einen mit dem eigenen Verständnis als (künftige) Ausbilder:in für Mediation, zum andern schwerpunktmäßig aber mit den oben beschriebenen Fragen beschäftigen und allen das dafür passendes Handwerkszeug mitgeben.
1) https://de.wikipedia.org/wiki/Know-how abgerufen am 28.03.2023