"Gute" Gründe Konflikte nicht zu klären
Was hält und eigentlich davon ab, Konflikte zu klären | Newsletter 4/2024
Konflikte so schnell wie möglich klären! Da würde wohl kaum jemand widersprechen. Die Realität sieht aber oft anders aus. Da lassen sich viele ganz schön viel Zeit. Immer wieder haben wir es in Mediationen mit Konflikten zu tun, deren Ursprünge zum Teil schon Jahre zurückliegen über die aber nie angemessen geredet wurde.
Wir möchten mal vermuten, es mangelt nicht an Wissen um Ursachen und Auswirkungen von Konflikten. An dem Wissen, dass Konflikte sich nach und nach aufbauen, es einfacher ist, sie zu lösen, wenn sie noch nicht hoch eskaliert sind, und es leichter ist sie zu klären, wenn sie noch keine gefühlten Ewigkeiten bestehen. Wider besseres Wissen, so scheint es jedenfalls, verhalten wir uns irrational, indem wir gerade das nicht tun, was auf der Hand liegen würde. Es einfach ansprechen.
Klar, kann man sagen, so sind die Menschen halt. Andererseits zeigt uns die Erfahrung, es geht auch anders. Warum also, machen wir das dann nicht.
Unsere Idee hier ist, uns anzuschauen, welche Rechtfertigungen wir uns geben, es nicht anzugehen. Es soll hier nicht darum gehen, jemandem auf die Schliche zu kommen. Es ist sehr menschlich Unangenehmes herauszuschieben. Uns geht es vielmehr darum, Muster zu erkennen, um die Chance zu erhöhen, bei der nächsten angespannten Situation vielleicht doch eine andere Strategie ausprobieren.
Das hat eh keinen Sinn (mit…)
Unsere Erfahrung lehrt uns, in solchen Fällen, mit solchen Menschen, mit dieser speziellen Person nichts ansprechen zu können, einfach weil es nichts bringt. Das wissen wir! Im Grunde ist das eine fatalistische Position, denn wir nehmen die Probleme als unabänderlich wahr. Wenn man nachfragt, bekommt man in der Regel eine Reihe von Beispielen genannt, die diese Sicht beweisen soll. Dem oder der Ex oder der Kolleg:in mangele es an Reflexionsfähigkeit, an Empathie, er oder sie habe keine Zugang zu Gefühlen oder mache doch eh nur was die Chefin, die Familie oder die neue Partner:in wolle. Kurzum: Es macht keinen Sinn.
Aber war das schon immer so mit der ehemals geliebten Person oder der Kolleg:in? Wohl eher nicht. Ausgeblendet werden sämtliche Erfahrungen, in denen es funktioniert hat. Und davon haben wir alle eine ganze Menge. Ganz davon abgesehen ist Konflikte lösen und miteinander sprechen, bei aller Komplexität, eine der Kernkompetenzen von Menschen. Wir machen das seit unserer Geburt.
Es ist paradox, denn auf den ersten Blick sieht es so aus, als könnte man mit dieser Haltung seine Ruhe haben. Klar, in der jüngeren Vergangenheit hat mit dem Ex nicht mehr so viel funktioniert und mit der Kollegin war es nur noch nervig. Und die damit verbundenen Empfindungen sind leider real anwesend. Konflikte beschäftigen uns, sie nehmen Raum ein: In unseren Gedanken und Empfindungen, unseren Gesprächen mit Freunden oder Kolleg:innen. Leider nur oft nicht mit denen, mit denen wir was klären müssten. Insofern haben Konflikte auch etwas Gutes. Sie strukturieren uns, unterhalten uns, geben uns Themen. Spoiler: Gäbe es nicht auch anderes, worüber wir reden könnten?
So schlimm ist es auch wieder nicht…
Klar, muss man aus einer Mücke keinen Elefanten machen? Will heißen, nicht jeder Kleinkram muss lang und breit besprochen werden. Anderseits reden wir bei Konflikten auch nicht über irgendwelche Banalitäten, die wir eine halbe Stunde später schon wieder vergessen haben, sondern über etwas, das uns – siehe oben – über einen längeren Zeitraum intensiv beschäftigt.
Ernst genommen bedeutet „so schlimm ist es auch wieder nicht“, wir nehmen uns nicht ernst. Wir stellen uns, unsere Wahrnehmungen, Empfindungen und Bedürfnisse hintenan.
Ansprechen macht es vielleicht noch schlimmer.
Solange noch niemand gesagt hat, wir haben einen Konflikt, gibt es den ja – zumindest offiziell – noch nicht und wir können so tun, als wäre alles ganz prima. Es ist ein bisschen so, als wäre ich wieder drei oder vier Jahre alt. Indem ich mir die Augen zuhalte, bin ich für die anderen unsichtbar.
Wer kennt das nicht. Du bist zum Essen bei einem befreundeten Paar eingeladen und es ist sehr spürbar, bei denen hängt der Haussegen schief, da liegt Spannung in der Luft. Offiziell ist aber alles super. In Teams gibt es ähnliches. Alle sagen, hier sei eine Superstimmung, nur fühlt man das nicht, wenn man mit den Leuten redet. Übersetzt heißt das, es ist offenbar noch möglich, die Illusion von Harmonie aufrechtzuerhalten, hinter dieser Fassade sieht es aber eher nach Gewitter und Sturm aus.
In gewisser Weise gehen wir damit über „so schlimm ist es aber auch wieder nicht“ hinaus. Wir werten nicht nur unsere eigenen Bedürfnisse und Wahrnehmungen ab, sondern entheben uns auch unserer Lösungskompetenzen. Wir bewerten die Beziehung als so instabil, dass eine mögliche Veränderung negative Konsequenzen hätte. Die Sorge vor der Zukunft macht uns im Hier und Jetzt handlungsunfähig.
Im Ergebnis verharren wir in einer doofen Situation aus Sorge um eine – natürlich – noch unbekannte Zukunft. Man kann die Konsequenzen des Nicht-Handels kleinreden oder überhöhen. Die Taktik „ansprechen macht es noch schlimmer,“ gehört in die zweite Kategorie.
Unsere Erfahrungen damit sind gemischt. Konflikte, die angesprochen sind, sind anders präsent als solche, die versteckt werden. Und definitiv kosten sie Energie und Aufmerksamkeit. Die Unausgesprochenen leider aber auch, meist sogar mehr. Und mit dem Nachteil, dass eine Lösung noch weiter entfernt ist.
Zusatzbegründungen für Führungskräfte
Mit geringen Abänderungen, kann man alle oben genannten Argumente auch als Führungskraft nutzen, um Konflikte mit oder zwischen Mitarbeiter:innen nicht anzugehen. Gleichwohl haben wir noch ein paar Zusatzargumente gefunden, die (scheinbar) gut funktionieren.
Das ist doch alles nur Zickenkrieg, Hahnenkämpfe oder so...
Mit dieser Argumentation werden Konflikte essentialisiert. Weil es eben Männer, oder Frauen sind, verhalten sie sich halt laut, geschwätzig, konkurrent. Da kann man nichts machen. Oder: So ist es in der Wirtschaft, in unserer Branche, es ist halt kein Ponyhof. Ausgeblendet werden nicht nur alle gegenteiligen Erfahrungen, sondern auch, wenn man das Argument ernst nimmt, eigene Veränderungsmöglichkeiten.
Es ist ja mitnichten so, dass alle Teams, die aus Frauen bestehen, ein gackernder Hühnerhaufen sind oder alle Teams, die aus Männern bestehen, Orte des unbarmherzigen Konkurrenzkampfes. Mit all den negativen Folgen: viel Geläster und wenig Kooperation.
Führungskräfte haben hier eine Schlüsselposition, ob sie es wollen oder nicht: Sie sind qua ihrer Rolle in der (Mit-)Verantwortung für den Umgang im Team. Ihre Aufgabe ist es für gute Abläufe und Strukturen zu sorgen, Arbeit zu delegieren, zu schauen, dass es inhaltlich läuft, und auch, sich um die Menschen zu kümmern. Studien zeigen, Führungskräfte auf der 1. und 2. Ebene verwenden durchschnittlich 15 % ihrer Arbeitszeit auf den Umgang mit Konflikten. Gut so! Aber diese notwendige Zeit zu entwerten als eigentlich überflüssig, wertet ja auch das eigene Tun als Führungskraft ab.
Wie stehe ich denn als Führungskraft da, wenn ich das nicht selbst in den Griff bekomme?
Wer würde das nicht gerne sagen: In meinem Team, mit meinen Leuten, läuft es so richtig gut. Alle verstehen sich, es herrscht eine super Stimmung und die Ergebnisse sind top!
Ich werde immer etwas skeptisch, wenn mir Führungskräfte erzählen, sie hätten mit Konflikten oder Unstimmigkeiten im Team nichts zu tun. Die Erfahrung zeigt was anders. Überall dort wo Menschen mit ihren differenten Lebenssituationen, Karriereambitionen, Ansichten und Bedürfnissen zusammenkommen, gibt es auch Konflikte. Der allergrößte Teil dieser Konflikte oder Unstimmigkeiten wird im Team mit oder ohne Intervention der Führungskraft gelöst. Manchmal aber auch nicht. Weil die Beteiligten zu verletzt sind, zu viele – manchmal auch von außen – mitmischen, die Führungskraft selbst involviert ist, der Konflikt von Außen ins Team getragen wird oder er schon so lange besteht, und niemand mehr weiß, wie er eigentlich begonnen hat.
Konflikte dieser Art sind mit den Bordmitteln der meisten „Laien“ nicht zu klären. Da braucht es neutrale, nicht involvierte Unterstützung, die keine eigenen Interessen hat und sich beruflich mit solchen Fällen beschäftigt. Zu erkennen, wann man Unterstützung braucht, und sich diese dann auch zu holen, ist ein Ausweis der Professionalität und der Stärke. Die Grenzen des eigenen Könnens zu kennen und zu achten, macht den Profi aus. Und es gibt noch einen wichtigen „Nebeneffekt“. Dieses Rollenverständnis strahlt auf die Organisationskultur aus. Es ist ein Zeichen nach innen und außen: „Wir kümmern uns darum, dass der Fokus auf der Arbeit liegt und unsere Mitarbeiter:innen ihre Rollen wahrnehmen und Ziele erreichen können.