klären & lösen – Agentur für Mediation in Berlin

Was ist gerecht?

Mediation und Gerechtigkeit | Newsletter 3/2020

Mediation vertritt Werte. Zentrale Werte der Mediation sind Allparteilichkeit, Freiwilligkeit, Vertraulichkeit, Selbstverantwortlichkeit und Wertschätzung, Birgit Keydel bezeichnet sie als Big-Five der Mediation. (SdM 68, 69/2017). Folgt man dem Mediationsgesetz würde da noch Einvernehmlichkeit und auf der Prozessebene Struktur dazu kommen (§1 MedG). Mit der Einhaltung dieser Prinzipien arbeiten Mediator/innen daran, mit den Parteien Lösungen zu finden, die den Interessen und Bedürfnissen aller in gleichen Maß entgegenkommen, mit anderen Worten, die gerecht und fair sind.

Für viele Mediator/innen, auch für uns, ist Mediation mehr als nur eine Möglichkeit sein Geld zu verdienen. Wir haben den Wunsch einen Beitrag zur Verbesserung des Miteinanders in der Welt zu leisten, indem wir eine gute Möglichkeit Konflikte zu lösen bereitstellen, die Menschen und, wenn wir es groß denken möchten, Gesellschaften zu einem friedlichen Miteinander befähigen. Faire und gerechte Lösungen sind der Schlüssel hierfür.

Nur was ist gerecht?


Gerechtigkeit

Wo keine Gerechtigkeit ist, ist keine Freiheit, und wo keine Freiheit ist, ist keine Gerechtigkeit.
(Johann Gottfried Seume)

Gerechtigkeit ist ein vielschichtiger Begriff. Zunächst einmal könnte man ihn so deuten, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden soll. Nur was ist gleich oder ungleich? Dies ist abhängig von unseren Wertmaßstäben. Wenn ich mehr gebe als du, kann das gerecht sein, weil ich mehr habe, oder ungerecht, weil wir verschieden sind. Gerechtigkeit zu messen ist so schwierig, weil wir dabei auf verschiedenen Ebenen denken müssen:

Wir möchten uns diesen Fragen auf zwei Weisen nähern. Zum einen über die Frage, unter welchen Umständen das Mediationsverfahren an sich fair ist, zum anderen über die Frage, was eine gerechte Verteilung und damit eine gute Lösung ausmacht.

Wir verwenden die beiden Begriffe gerecht und fair häufig synonym. Fair kommt aus dem englischen und bedeutet wörtlich „anständig“ oder „ordentlich“ und verweist damit auf eine gesellschaftliche Dimension. Fairness drückt laut Wikipedia „eine (nicht gesetzlich geregelte) Vorstellung von Gerechtigkeit aus.“ Wenn wir also von einem fairen Verfahren sprechen, auf Deutsch wäre das ein ordentliches Verfahren, spricht man von einem Verfahren, welches akzeptierten Regeln folgt, es also anständig geführt ist.


Verfahrensgerechtigkeit

Ein gerechtes Ziel lässt sich nicht mit ungerechten Mitteln erreichen.
(Petra Kelly)

Mediation versucht faire und gerechte Lösungen über ein faires Verfahren herzustellen. Grundidee dabei ist, dass wir über unsere Rolle und die Einhaltung einer Struktur allen Seiten in angemessener Weise gerecht werden und damit die Bedingungen schaffen, damit die Parteien in einen offenen und fairen Austausch gelangen können, in dem alle Positionen, Gefühle und Bedürfnisse als gleichwertig betrachtet werden. Das bedeutet, dass in so verstandenen Verfahren Gerechtigkeit mehr ist als bloßes Aufteilen anhand (scheinbar) objektiver Kriterien. Es ist das Verfahren welches Fairness absichern soll.

Das vielleicht bekannteste Beispiel für die Idee der Verfahrensgerechtigkeit ist der „Schleier der Unwissenheit“ wie ihn der amerikanische Philosoph John Rawls postuliert hat. Die Idee ist kurz gesagt, dass wir uns erst über die Aufteilung verständigen und dann entscheidet der Zufall, welchen Teil man davon bekommt.

In einer idealen Welt oder als Gedankenexperiment mag das gelingen, in der Wirklichkeit wird es komplexer. Wir können nicht einfach vergessen, wer wir sind und mögliche reale Verteilungen nicht ausblenden.

Zudem existieren Machtunterschiede zwischen den Parteien, welche im Mediationsdiskurs nicht vollständig ausgeglichen werden können.

Als kommunikatives Verfahren bevorzugt Mediation auf der systemischen Ebene Menschen, die gut sprechen können, gute Argumente bringen, ihre Gefühle und Bedürfnisse angemessen äußern usw. Die unterschiedlichen Fähigkeiten, dies zu tun, hervorgerufen durch Herkunft, Sozialisation Erfahrungen usw. versuchen wir in der Mediation auszugleichen, indem wir allen eine Stimme geben und sie mit unseren Methoden und Möglichkeiten in unterschiedlichen Maß unterstützen (also nicht alle gleich, sondern orientiert an den Bedarfen).

Allparteilichkeit soll auf der Verfahrensebene Gerechtigkeit absichern. Wie schwer das im konkreten Tun ist, wissen wir alle.


Ergebnisgerechtigkeit

Einfach gesprochen ist ein gerechtes Ergebnis der Mediation eines, welches von den Parteien als gerecht und fair empfunden wird. Was wir jedoch als gerecht empfinden, ist vielschichtig. Ist es einfach die Hälfte dessen, was es zu verteilen gilt, das zurück zu bekommen, was wir eingezahlt haben, das was wir für etwas geleistet haben, das gesellschaftlich Gebotene oder Erwartete, ein Ausgleich für erlittenes Leid, oder soll es sich an unseren Möglichkeiten orientieren? Oder ein Mix aus alldem? Dazu kommt noch, dass in der Mediation ja mehrere Parteien sitzen, die in der Regel unterschiedliche Vorstellungen von Gerechtigkeit haben.

Theoretisch gesprochen gibt es eine ganze Reihe von Kriterien für gerechte Verteilung. Zum Beispiel:

Also ganz praktisch:
Ist es also fair, dass die Kinder nach unseren und deren Bedürfnissen bei mir oder bei dir wohnen? Oder führen wir einfach unsere bisherige Vereinbarung fort? Oder sollen sie eher bei mir sein, weil ich mich im Wesentlichen um sie gekümmert habe? Oder ist 50/50 eine faire Lösung? Oder wollen wir das Los entscheiden lassen? Oder muss es minimal über die Lösung hinausgehen, die ein Gericht vorschlagen würde? Und wie sind diese ganzen Lösungen eigentlich mit meinen Werten und gesellschaftlichen Normen vereinbar? Gehören Kinder nicht zur Mutter? Oder glauben wir, dass sie Vater und Mutter gleichermaßen brauchen?
Und was wollen eigentlich die Kinder?

Das hört sich erst einmal alles plausibel an. Nur was ist nun gerecht? Was als gerechtes Ergebnis empfunden wird, ist abhängig von individuellen und gesellschaftlichen Werten sowie den Kriterien der Verteilung. Sowohl die Werte wie auch die Kriterien sind dabei nicht unumstritten, nicht einfach in Einklang zu bringen und widersprechen sich manchmal.

Konflikte, wie auch Fragen der Gerechtigkeit, werden in der Mediation individualisiert. Wir schauen also nicht unmittelbar, wie wir gesellschaftliche Gerechtigkeit oder Geschlechtergerechtigkeit in der Mediation am Arbeitsplatz oder der Familienmediation erreichen können. Über die wechselseitige Anerkennung der Legitimität der Bedürfnisse der anderen Seite sollen die Parteien individuelle Kriterien für gute Lösungen erarbeiten, anders gesprochen, ein eigenes Ranking von Gerechtigkeitskriterien erarbeiten. Ich zahle mehr, weil du dich mehr um die Kinder kümmerst oder ich betreue die Kinder mehr, weil mein Job das eher zulässt usw.

Wie wir alle wissen, sind Werte nicht verhandelbar aber gleichwohl besprechbar. Wir können, wenn es gut geht, sie zumindest offen aussprechen und sie wechselseitig verstehbar machen. Ich kann anerkennen, dass du als Vater dieselben Rechte an den Kindern hast wie ich als Mutter, nur kann ich mir als Mutter nicht vorstellen, dass die Kinder nicht im Wesentlichen bei mir sind.


Fazit

Wie schon die Aufzählung zu Beginn zeigt, ist Mediation wertebasiert und Gerechtigkeit ein zentraler Wert der Mediation. Fragen von Gerechtigkeit und Fairness sind zumeist die Knack- und Wendepunkte unserer Arbeit. Dies betrifft aber nicht nur die Konfliktparteien, sondern berührt auch uns Mediator/innen mit unserem Gerechtigkeitsempfinden und darüber unsere Prozessteuerung. Gibt es Momente, in denen wir unsere Allparteilichkeit verlieren? Wo fragen wir nach? Wo glauben wir an die Nachhaltigkeit gefundener Lösungen? Wo sehen wir unsere Werte berührt oder verletzt und wie wirkt sich das auf den Verlauf der Mediation aus? Es lohnt sich also, dass wir uns über unsere Vorstellungen von fairen Mediationsverfahren und fairen Lösungen klar werden, damit wir beim mediieren nicht kalt erwischt werden und dann für die Parteien weniger hilfreich sind, als wir es könnten.

(Michael Cramer)


Literatur: