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Autonomie, Skript & Mediation

ein Konzept aus der Transaktionsnalyse für die Mediation | Newsletter 5/2020

Skript ist ein Konzept, das erklärt, wie wir unser Leben unbewusst steuern. Es behauptet, dass wir alle in unserer Kindheit einen Plan entwerfen, wie unser Leben verläuft. Was hat diese steile These mit Mediation zu tun? Insbesondere weil sie unser Selbstverständnis als bewusst unser Leben gestaltendes Subjekt an wichtigen Stellen in Frage stellt und uns damit konfrontiert, dass es um unsere Fähigkeit, immer sinnvolle und durchdachte Lebensentscheidungen zu fällen, vielleicht gar nicht so gut bestellt ist wie wir dachten. Ich darf beichten, dass ich das selbst immer noch als Herausforderung empfinde und oft genug denke 'Nee, also diese Behauptung... das kann ja wohl nicht sein'. Taucht man dann eine Weile in die Welt des Skripts ein, werden einem aber eine Fülle von Indizien vorgelegt, die zumindest mich nachdenklich machen. Als Mediator komme ich auch nicht umhin, in den Konfliktverläufen, die ich begleite und mithelfe zu verändern, Hinweise auf Skriptverhalten festzustellen. Das hilft mir, das Gespräch in vielversprechendere Bahnen zu lenken, auch wenn ich als Mediator nicht in die sogenannte 'Skriptanalyse', das therapeutische Aufarbeiten und Verändern von hemmenden Skriptinhalten, einsteige.


Das Konzept

Eric Berne, Begründer der Transaktionsanalyse, stellt sich folgendes vor: Durch Schlüsselerlebnisse in unserer Kindheit machen wir uns bestimmte Bilder davon, wie wir selbst und die anderen Menschen um uns herum denn so sind. Wir erhalten ja ständig Botschaften von Eltern und anderen für uns wichtigen Personen: 'das Bild hast du aber schön gemalt', 'du musst schon ein bisschen mehr auf deine kleine Schwester achtgeben' usw. Wer in seiner Kindheit regelmäßig Auseinandersetzungen mit den Nachbarskindern hatte, entwickelt vielleicht auch bestimmte Vorstellungen von der Welt und dem Leben an sich. Dass sie z.B. ein gefährlicher Ort sei und man immer auf der Hut sein muss. Am Ende fügen sich die Vorstellungen zu festen Erwartungen darüber zusammen, wie unser eigenes Leben verlaufen wird. Diese Erwartungen können sowohl hilfreich als auch hemmend sein, sie werden sich jedenfalls in unserem weiteren Leben als selbsterfüllende Prophezeiung erweisen. Menschen befolgen ihr Skript, indem sie potentiell neuartige Erfahrungen in einer Weise für sich uminterpretieren, dass sie besser zu ihrem Skript passen. Manche Menschen suchen die Erfahrungen, die zu ihrem Skript passen, scheinbar absichtlich auf oder arrangieren gleich entsprechende Ereignisse. Das führt dazu, dass sich diese Menschen ständig sagen können 'Siehst du, habe ich doch gewusst' und bewirkt, dass sie ihr verzerrtes Weltbild als die reine Wahrheit erleben, sie sich nun immer wieder bestätigt. Sowohl die Skripterstellung als auch die Skriptbefolgung erfolgen unbewusst. Wenn wir uns mit unserem Skript näher beschäftigen, können wir uns unsere Skriptentscheidungen aber ins Bewusstsein holen. Dann können sie therapeutisch bearbeitet, also verändert werden, so die Vorstellung der Transaktionsanalyse.

Für unser Selbstverständnis als im Großen und Ganzen vernünftig Handelnde sind diese Vorstellungen eine ziemliche Herausforderung, finde ich. Wo bleibt da unsere Souveränität? Als Sigmund Freud das 'Unbewusste' um 1900 herum postulierte, stellte er sich damit gegen die herrschenden Vorstellungen der Philosophie (dass das Seelenleben des Menschen gleichbedeutend mit seinem Bewusstsein sei), aber auch gegen das große Versprechen der Aufklärung, dass die Vergrößerung des rationalen menschlichen Wissens gleichbedeutend mit der immer weiter wachsenden Handlungsfähigkeit des Menschen sei, vollständige Souveränität seiner Existenz zu erlangen. Gegen diese Allmachtsvorstellung ist das Postulat einer unbewussten seelischen Kraft, die uns Menschen unabhängig von und manchmal gegen unseren bewussten Willen und unser Selbstverständnis zu unseren Handlungen und Lebensentscheidungen antreibt, eine tiefe Kränkung. Sie bedeutet auch eine tiefe Verunsicherung, denn nachdem die Aufklärung gezeigt hat, dass es keinen allmächtigen Gott gibt, behauptet Freud nun, es gebe auch keinen Ersatz für diese Allmacht in uns selbst. Eric Berne, der, nicht von Minderwertigkeitskomplexen geplagt, behauptet nichts weniger, mit dem Skriptkonzept einen Teil der Struktur des Unbewussten zu kennen. Claude Levi-Strauss hatte schon 1949 postuliert, dass das 'Unbewusste wie eine Sprache strukturiert' sei. Berne nimmt diesen Gedanken auf und behauptet, wir Menschen schreiben uns im Kindesalter unbewusstes ein Drehbuch, nach dem dann unser weiteres Leben abläuft. Starker Tobak. Ein Kind 'interpretiert' die Erfahrungen die es beim Heranwachsen macht, immer im Kontext seiner momentanen Entwicklung. Jean Piaget hat dafür Entwicklungsstufen postuliert, die sich gut mit transaktionanalytischen Vorstellungen überein bringen lassen. Der kleine Rüdiger, 2 Jahre alt, macht die Erfahrung, dass immer, wenn er sich weh tut, die Erwachsenen Dinge sagen wie 'Ach, nur eine Schramme', 'ein Indianer kennt keinen Schmerz' und ähnliche Dinge. In seiner kindlichen Logik könnte er daraus den Schluss ziehen 'Du bist nur ok, wenn du deinen Schmerz nicht zeigst' was in seiner weiteren Entwicklung dazu führt, dass es ihm immer schwerer fällt, Schmerzempfindungen zuzuordnen, weil sein Skript die Beschäftigung mit diesen Empfindungen nicht mehr vorsieht. Mit etwas Phantasie können wir uns nun vorstellen, wie die Geschichte weiter gehen könnte: Rüdiger könnte riskantes Verhalten entwickeln, weil er körperliche Begrenzungen nicht mehr so gut wahrnimmt, er könnte auch im Gegenteil überängstlich werden, um verwirrenden Erfahrungen auszuweichen. Nicht selten, und damit haben wir ja in Mediationen auch zu tun, verschiebt oder erweitert sich eine solche Skriptbotschaft 'zeige und empfinde keinen Schmerz' auch auf die seelische Ebene.


Mit dem Konzept arbeiten: Mediation oder Therapie?

Zunächst wurde das 'im Skript sein' immer negativ verstanden, weil Berne zu seiner Idee bei der Arbeit mit Menschen mit fatalen Lebensläufen gekommen ist. Heute wird Skript häufig so verstanden, dass es auch hilfreiche, entwicklungsfördernde Botschaften enthält. Wenn wir ressourcenorientiert mit Menschen arbeiten, sollten wir im Blick behalten, dass das ideale Entwicklungsziel des Menschen seine Autonomie ist, die ihn dazu befähigt, intime, im Sinne von aufrichtigen, authentischen, Beziehungen einzugehen. Das beinhaltet ein reichhaltiges Gefühlsleben ebenso wie die Wahrnehmung, was im Hier & Jetzt wirklich wichtig ist.

Um nicht in eine problemfixierte Wahrnehmungsschleife zu gelangen hilft mir folgende Vorstellung: Skriptentscheidungen sind kreative Einfälle, mit Herausforderungen des Lebens umzugehen, die zum Zeitpunkt ihrer Entstehung (also z.B. beim 2-jährigen Rüdiger) das Beste war, was er zu diesem Zeitpunkt hervorbringen konnte. Daher verdient dieser Drehbucheintrag bezogen auf seine damalige Lebenssituation seinen eigenen und unseren ganzen Respekt. Der heute 52-jährige Rüdiger hat jetzt alle Freiheit dieser Welt, den damaligen Eintrag stehen zu lassen oder umzuschreiben. Sollte die damalige Entscheidung seine heutigen Beziehungen belasten, könnte sich das zum Beispiel im Verlauf einer Mediation herausstellen, indem ihm dort bewusst wird, was er warum tut und wie sich das auf sein Gegenüber auswirkt. Dazu muss ich als Mediator gar nicht therapeutisch nach der Vergangenheit fragen, sondern kann dazu arbeiten, was Rüdiger mit seinem Kommunikationsverhalten eigentlich erreichen möchte, und was er im Gegensatz dazu wirklich bewirkt. Hat er beispielsweise als Kind sein Skript geschrieben, seine Gefühle nicht preiszugeben, damit ihn die anderen nicht lächerlich finden und sich von ihm abwenden, kann er jetzt in der Mediation die Erfahrung machen, dass die differenzierte Darstellung seines Gefühlslebens die zuvor schrittweise Abwendung seiner Partnerin aufhalten kann und eine neue Beziehungsqualität erschaffen hilft.

Zusätzlich kann Kenntnis des Skriptkonzepts auch die Haltung von uns als Mediator/innen stabilisieren: Es macht ja einen Unterschied, ob wir z.B. denken 'Ach ja, mal wieder ein Mann, der nicht zu seinen Gefühlen stehen kann. Muss ich wohl mal wieder ran...' Oder, mit Kenntnis des Skriptkonzepts: 'Das ist ja interessant, dass ihm gar nicht auffällt, dass sein Hinter-dem-Berg-halten mit seinen Gefühlen genau die Verbindung erschwert, die er sich gleichzeitig wünscht. Es muss in seinem Leben einmal eine Zeit gegeben haben, wo dieses Verhalten eine kluge Entscheidung gewesen ist. Da will ich einmal einsteigen.' Und sagt: 'Ich wundere mich darüber, dass du auf die Vorwürfe deiner Partnerin gar nicht eingehst. (Pause, um zu schauen, ob er schon reagiert. Wenn nicht, fährt sie fort:) Willst du sie vor etwas schützen?' Und er antwortet vielleicht, 'Naja, ich find's schon ungerecht. Aber wir schreien uns eh schon so viel an, da wollte ich dieses Fass nicht auch noch aufmachen...' 'Wir können ja deine Partnerin mal fragen, ob sie hören will, was du ungerecht findest?' etc.

Berne sieht Parallelen zu Märchen und zum antiken Drama, mit dem Argument, dass uns diese Dramen so faszinieren, weil sie beschreiben, was wir Menschen uns so alles ins Drehbuch schreiben, also Abbilder typischer Lebensläufe sind. Aus frühkindlichen extremen Erfahrungen schließen Kinder zum Beispiel, dass sie verflucht seien, etwas, was sie sich wünschen, im Leben nicht bekommen zu können. Verallgemeinert ausgedrückt schreiben wir unser Skript nach dem Muster verbreiteter Motive von Märchen und Mythen. Ich finde diese Denkweise zumindest anregend, für Geschichten in der Mediation ein interessanter Ansatzpunkt.


Skript und Grundbotschaften

Die wichtigsten Elemente des Skripts sind die Grundbotschaften, also Grundüberzeugungen, an denen sich das Kind dann ausrichtet. Eltern senden Grundbotschaften unbewusst ans Kind. Sie sind Ausdruck einer emotionalen Beziehung zum Kind. Sie können durchaus das Gegenteil dessen sein, was die Eltern bewusst denken. Sie begleiten unser Leben als Grundstimmung und bilden unsere Grundüberzeugungen über uns und die Welt. Beispiele von Grundbotschaften:

In der Mediation können wir den Einfluss der Botschaften auf die aktuelle Beziehungsgestaltung bewusst machen. So könnte ich z.B. in der Mediation sagen 'Ich habe verstanden, Rüdiger, dass Sie sich mehr Nähe zu ihrer Partnerin wünschen, und wir haben gleichzeitig einige Beispiele gehört, wo Ihr Verhalten bei ihr zu der Entscheidung führt, sich zurückzuziehen. Wollen wir da noch mal gemeinsam hin schauen?' und wir könnten besprechen, was die beiden in diesen Situationen zukünftig anders machen wollen.

Die Grundbotschaften befeuern eine ganze Reihe weiterer sekundäre Phänomene und Verhaltensweisen, von denen in der Mediation meiner Erfahrung zwei besonders häufig vorkommen: Symbiosen und Passivität. Letzteres wollen wir uns genauer anschauen.


Skriptentscheidungen

In die Passivität zu gehen ist eine Skriptentscheidung. Diese sind so mächtig, weil sie sich vom Zeitpunkt ihrer Entstehung an fortlaufend selbst bestätigen. Unser Skript bringt uns dazu, bestimmte Abwertungen und Verkennungen der Realität vorzunehmen.

Ein häufig vorkommendes Phänomen sind 'Taktiken geschäftiger Passivität'. Jeder von uns hat wahrscheinlich schon mal die Erfahrung gemacht, wie wichtig einem ein gründlicher Hausputz plötzlich vorkommen kann, wenn in zwei Tagen die Abgabe einer wichtigen Ausarbeitung ansteht.


Formen der Passivität

Die Transaktionsanalyse kennt vier Formen der Passivität, die sich alle mit den uns Mediatoren gut bekannten Strategien in Verbindung bringen lassen, mit denen Menschen der nötigen Klärung ihres Konfliktes ausweichen.

Nichtstun erklärt sich selbst: Angesichts einer drohenden oder stattfindenden Eskalation wird einfach nichts unternommen oder es bleibt bei Absichtserklärungen.

Überanpassung: Es wird eine Vielzahl von Aktivitäten angestoßen, die einerseits auf Konfliktklärung gerichtet sind, andererseits die Sache nicht weiterbringen: so wird anstatt der notwendigen Mediation ein Betriebsausflug angesetzt, 'den hatten wir schon so lange nicht mehr, und früher war ja auch die Stimmung besser!'

Agitation: Viel Handlung auf vielen Ebenen, aber nichts davon ist geeignet, den Konflikt zu klären. 'Wir haben angesichts unserer Schwierigkeiten einen Leitbildprozess begonnen, unsere Strukturen und Arbeitsabläufe stehen auf dem Prüfstand, wir haben 360-Grad Feedback eingeführt und arbeiten jetzt agil.' Hier ist den Beteiligten zu wünschen, dass sie bald in eine sinnvolle Konfliktbearbeitung einbiegen, weil sie vermutlich bei all diesen Aktivitäten wieder mit ihrem Konflikt in Berührung kommen.

Gewalt gegen sich und andere. Hier ist wirklich eine schlimme (Eskalations-)stufe erreicht. Es herrscht das Empfinden, für konstruktive Konfliktbearbeitung ist es jetzt zu spät, es werden Abteilungen geschlossen, Mitarbeiter/innen gekündigt, es kommt zu Ausfälligkeiten bis hin zu Tätlichkeiten (für den Umgang damit gibt es häufig in der Organisation keine Vorerfahrung und damit kein Prozesswissen, wie nun vorzugehen ist). Aber auch diese krassen Maßnahmen oder Vorkommnisse führen nicht dazu, dass der eigentliche Konflikt geklärt wird -- Unternehmen mögen geschlossen werden, in Familien, die zerbrechen, wird die emotionale Verstricktheit der Einzelpersonen in den Konflikt nicht enden.

Solch passives Verhalten gilt es nicht nur im Vorgespräch zu konfrontieren, sondern kann bei der Bearbeitung der einzelnen Konfliktthemen auftreten und muss dort angemessen bearbeitet werden. Auch hier ist mir wichtig daran zu denken, dass solch passives Verhalten irgendwann einmal im Leben der Beteiligten ihre kreativste Option gewesen ist, mit einer Herausforderung um zugehen und entsprechend wertzuschätzen.

Es gibt noch eine Fülle weiterer kommunikationstaktischer Phänomene, die sich auf die Befolgung des eigenen Skripts zurückführen lassen. Wenn wir diese kennen, können wir darauf konstruktiv und souverän reagieren, und ressourcenorientiert gemeinsam neue Lösungen finden!

(Rüdiger Hausmann)

Rüdiger Hausmann von Rheinmediation ist unser Kooperationspartner in Köln. Zusammen machen wir unter anderem die Mediationsausbildungen in Köln.


Podcast zum Thema

mit Rüdiger Hausmann (Mediator und Ausbilder BM und Transaktionsanalytischer Berater)