Allparteilichkeit vs. Einmischen
Ein Debattenbeitrag | Newsletter 4/2019
Eines der zentralen Paradigmen der Mediation ist Allparteilichkeit. Allparteilichkeit ist das was uns arbeitsfähig macht, sie sichert, dass wir alle Parteien gleichermaßen unterstützen können. Dass dies in der Praxis manchmal schwierig ist, wissen wir alle. Eine Partei ist uns sympathischer, wir können deren Position eher nachvollziehen oder wir empfinden gar die Position einer Partei unseren Werten entgegengesetzt.
Genau an dieser Stelle möchten wir in diesem Text ansetzen. Was sind eigentlich die Grundlagen unserer Allparteilichkeit? Aus unserer Sicht kann man Allparteilichkeit nicht gleichsetzen mit Wertfreiheit. Und unserer Meinung nach konstituieren unsere Werte die Grenzen unserer individuellen Möglichkeiten allparteilich zu sein.
Mediation ist und kann, so unsere These, wertfrei funktionieren. Sie ist, wie auch unsere Gesellschaft, auf Werten begründet. Auf der gesellschaftlichen Ebene wird dieses Wertegerüst durch das Grundgesetz definiert. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ (Art.1, 1) oder auch „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ (Art. 3, 3). Diese und andere Grundrechte sind in ihrem Wesensgehalt nicht antastbar und stehen unter der sogenannten Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes.
Auch die Mediation verritt per se Werte: Sie geht davon aus, dass Menschen gleichberechtigt ihre Angelegenheiten in freier Rede besprechen können und dabei zu selbstverantworteten und selbstbestimmten Lösungen gelangen. Unsere Aufgabe als Mediator/innen ist es daher auch, dies durch unsere Prozesssteuerung abzusichern. Mit anderen Worten: Der Gedanke der prinzipiellen Gleichheit des Menschen ungeachtet ihrer Unterschiede in sozialer oder ökonomischer Hinsicht, ist im Prozess der Mediation verankert.
Diese Grundpostulate des Zusammenlebens geraten aber immer wieder unter Druck. Dies geschieht, wenn Parteien die Rechte anderer einschränken wollen, wenn die Grundrechte von rechts / rechten Gruppierungen gesamtgesellschaftlich in Frage gestellt oder sogar mit Gewalt ausgehebelt werden, und es kann auch in der Mediation geschehen.
Werte und Mediation
In der Mediation stehen wir in diesen Fällen vor der Herausforderung, das, was in der Mediation passiert, mit unseren Werten abzugleichen und zu schauen, ob das, was dort gesagt oder beschlossen wird, (noch) vereinbar mit unserem Wertegerüst ist. Diese Entscheidung steht im Spannungsfeld der Allparteilichkeit, der Freiheit der Parteien, zu vereinbaren, was immer gut für sie ist und den Grundwerten unserer Gesellschaft. Ein paar Beispiele mögen dies illustrieren: Eltern einigen sich auf Lösungen für ihre Kinder, die wir als grob unangemessen finden. Das Machtgefälle in einem Team ist so unausgeglichen (auch eine Werteentscheidung!), was im Ergebnis dazu führt, dass einer Partei Dinge gesagt werden, die wir als würdelos empfinden oder die eine Partei grob benachteiligt.
In vielen Fällen wird die Mediation dann an Grenzen stoßen, denn der Gesetzgeber hat Grenzen für die Entscheidungsfreiheit gezogen. Und diese Grenzen sind unter anderem an die Grundrechte des Einzelnen gebunden.
Im Weiteren berühren Wertefragen unsere Entscheidung darüber, wen und in welchen Fällen wir mediieren. In anderen Worten: Bin ich bereit meine Dienstleistung auch denjenigen zur Verfügung zu stellen, um sie beispielsweise wieder arbeitsfähig zu machen, auch wenn diese Ziele verfolgen, die meinen Werten diametral gegenüberstehen? Hier wird es zwar keine generelle Antwort geben können, aber es wäre aus unserer Sicht sinnvoll, wenn wir uns immer wieder unserer Werte vergewissern würden, um dann reflektierte Entscheidungen treffen zu können. Schließlich gibt es ja kein Grundrecht darauf, eine Mediation machen zu können.
Als Bürger/in
Meine Freiheit endet dort, wo sie die Freiheit anderer einschränkt. Soweit so selbstverständlich. Nun geraten aber aktuell Grundrechte wie z. B. der Meinungsfreiheit, der Möglichkeit sich überall frei bewegen zu können, unter Druck. Rechte Parteien und neonazistischen Gruppen schrecken nicht vor Hass und Gewalt bis hin zum Mord zurück. Dies erzeugt ein Klima der Angst, in dem individuelle Rechte von Menschen und Gruppen, denen unterstellt wird, aufgrund eines Merkmals wie Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung etc. in Gefahr geraten, oder ein Diskurs entsteht, in dem postuliert wird, dass es in Ordnung sei, deren Rechte einzuschränken. Hier sind wir als Bürger/innen gefragt, dem individuell im Gespräch entgegenzutreten, uns zivilgesellschaftlich zu engagieren, um die (Diskurs-)Räume der Freiheit zu erhalten.
Demokratie und Menschenrechte sind nicht einfach da, sie müssen gelebt und verteidigt werden und da haben wir eine Verpflichtung als Bürger/innen und als Mediator/innen. Wir wünschen uns ein Nachdenken und eine Debatte darüber, was wir in dem jetzigen gesellschaftlichen Klima als Einzelne und als Berufsgruppe tun können, um Räume für Kommunikation über schwierige Themen zu öffnen und zu erhalten. Gleichzeitig brauchen wir Klarheit darüber, auf welcher Wertegrundlage wir uns bewegen.
Debatte
Uns ist bewusst, dass eine solche klare Wertorientierung innerhalb der Mediation nicht unumstritten ist. Wir halten es jedoch für notwendig uns mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Über Anregungen, Zustimmung oder Widerspruch würden wir uns sehr freuen, denn wir glauben, dass wir diese Debatte führen sollten. Teilen Sie uns Ihre Gedanken mit, entweder per Mail, auf Facebook, Instagram oder Xing.
(Michael Cramer, Cornelia Stauß)