Manipulation? Wir doch nicht!
Du brauchst diesen Text nicht zu lesen, verpasst aber was – oder wie Manipulation wirkt | Newsletter 3/2024
Wir alle waren schon einmal Täter oder sind Opfer von ihr geworden. Manchmal bewusst, oft unbewusst und manchmal wider besseren Wissens. Die Rede ist von Manipulation. Wir sind täglich damit konfrontiert. In der Werbung, in sozialen Medien im beruflichen oder privaten Umfeld. Manipulation lässt sich frei übersetzten mit „etwas in der Hand haben“ und dieses Etwas kann ein Mensch oder eine Gruppe sein, die ich steure, um ein gewisses Ziel zu erreichen. Für diese Steuerung nutzen manipulative Menschen unterschiedliche Tricks und Kniffe, um ihre Ziele zu erreichen. Der Werkzeugkoffer der Manipulationstechniken ist prall gefüllt mit Methoden von A wie Ablenkungsmanöver bis Z wie Zahlen. Du stutzt? Ja, Zahlen besonders in Form von Diagrammen können manipulativen Charakter haben. Viele Manipulationstechniken kommen aus dem Bereich der Logik und Rhetorik, der Kognitionspsychologie oder Kommunikationspsychologie. Und, man muss kein Experte sein, um diese Techniken anzuwenden. Schon Kinder sind wahre Meister in der unterschwelligen Manipulation. Aber wie geht man mit Manipulation am besten um, ohne sich darin zu verstricken?
Konflikte und Manipulation
In Konfliktsituationen sind Menschen im Stress, weil Konflikte nicht nur emotional fordernd sind, sondern auch weil wir das Gefühl haben, dass uns etwas Wichtiges verloren gehen könnte: Personen, Materielles, Status usw. Wir stehen unter Druck. Das lädt dazu ein, die Situation verändern zu wollen. Manipulationstechniken sind genau dieser Versuch. Das Problem dabei ist, dass sie gleichzeitig einer fairen Lösung im Weg stehen, denn Manipulationen erschweren den offenen und gleichwertigen Austausch auf Augenhöhe. Mediator:innen stehen deshalb von der Herausforderung, mit den unterschiedlichen Strategien und Taktiken der beteiligten Parteien umzugehen und Machtungleichgewichte, wie sie auch durch Manipulationsstrategien entstehen können, auszugleichen.
Umgang mit Manipulationsstrategien
Der erste Schritt ist es, sie erst einmal als solche wahrzunehmen. Damit ist schon viel getan! Das ist aber manchmal gar nicht so einfach. Besonders dann nicht, wenn man sich der manipulierenden Personen emotional verbunden fühlt oder in einem hierarchischen Abhängigkeitsverhältnis mitzueinander steht. Als Mediator:innen verfügen wir aber über einen Joker. Wir haben einen neutralen Blick und sind allparteilich. Wir können Dinge ansprechen oder benennen.
Aber Vorsicht: Direkt, darauf hinzuweisen, dass dies gerade ein Manipulationsversuch ist, halten wir für keine gute Strategie. Das wirkt belehrend und würde sich als Mediator:in allein schon dadurch verbieten. Zielführender scheint es zu sein, sich an die mediatorische Haltung zu erinnern, mit der wir unseren Mediand:innen begegnen. Mit der (inneren) Annahme, der oder die andere macht gerade das Beste, was für sie möglich ist, kommen wir weiter. Mit dieser Prämisse könnten wir versuchen, die gute Absicht, hinter der manipulativen Strategie zu sehen. „Ihnen ist es ganz wichtig, dass...“ Das halten wir für erfolgversprechender, um zu guten Lösungen zu kommen.
Ist das einfach? Unter keinen Umständen. Manche Menschen sind geschickt. Sie schmeicheln und üben gleichzeitig emotionalen Druck aus. Oder vermischen Fakten mit Meinungen und pauschalisieren diese dann. Klarheit ist dabei wichtig. Denn je besser ich weiß um was es mir wirklich geht und was meine Bedürfnisse sind, desto einfacher ist es strategischen Verhalten zu begegnen. Schließlich weiß ich am besten selbst, um was es mir geht.
Fünf Tipps zum Umgang mit Manipulationen
1. Stärke Dein Selbstwertgefühl Erkenne deine eigenen Werte und Grenzen. Wenn du dir deiner Stärken und Schwächen bewusst bist, kannst du Manipulationsversuche besser identifizieren und darauf reagieren.
2. Sei kritisch Hinterfrage die Motive und Absichten der Person, die versucht, dich zu manipulieren. Analysiere die Informationen, die dir präsentiert werden, und suche nach Beweisen oder logischen Argumenten.
3. Verbessere Deine Kommunikation Sprich offen über deine Gefühle und Bedenken. Klare und direkte Kommunikation kann helfen, Missverständnisse zu vermeiden und Manipulationsversuche zu entlarven.
4. Setze Grenzen Lerne, „Nein“ zu sagen und deine persönlichen Grenzen zu verteidigen. Es ist wichtig, dass du dich nicht unter Druck setzen lässt, Dinge zu tun, die du nicht möchtest.
5. Suche nach Verbündeten Sprich mit Freunden, Familie oder hole Dir Rat bei Experten. Rede über deine Erfahrungen. Oft kann eine externe Perspektive helfen, die Situation klarer zu sehen und Strategien zu entwickeln, um mit Manipulation umzugehen.
Erkennen von Manipulationsstrategien
Das Erkennen von Manipulation ist der erste Schritt im Umgang mit solchen Strategien. Manipulation kann subtil oder offensichtlich sein und verschiedene Formen annehmen. Emotionale Manipulation zielt darauf ab, durch übertriebene emotionale Darstellungen wie Weinen oder Wutausbrüche Sympathie oder Nachgiebigkeit zu erzwingen. Hierbei versucht eine Partei, die Mediator:in oder die andere Partei emotional zu beeinflus¬sen, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen.
Wichtig ist es aber diese Strategien zu erkennen und sich nicht in ihnen zu verfangen.
Eine weitere Taktik ist die Informationskontrolle. Dabei könnte eine Partei absichtlich Informationen zurückhalten oder verzerren, um die andere Partei zu einem unvorteilhaften Kompromiss zu drängen. Durch selektives Teilen von Informationen kann eine Partei die Wahrnehmung der Situation zu ihren Gunsten beeinflussen. Drohungen und Einschüchterung sind ebenfalls gängige Manipulationstechniken. Hierbei könnte eine Partei durch implizite oder explizite Drohungen versuchen, die andere zu bestimmten Zugeständnissen zu bewegen. Diese Drohungen können direkter Natur sein oder in Form von subtileren Andeutungen auftreten.
Eine häufige Form der Manipulation ist Scheinheiligkeit. Dabei gibt eine Partei vor, nachzugeben oder Kompromisse einzugehen, ohne dies wirklich zu beabsichtigen. So gelingt es ihr beispielsweise Zeit zu gewinnen oder die Medi¬ator:in zu täuschen. Diese Taktik zielt darauf ab, den Anschein von Kooperationsbereitschaft zu erwecken, während tatsächlich keine echte Bereitschaft besteht, Zugeständnisse zu machen, dabei aber weiter die eigene Agenda zu verfolgen. Ähnlich verhält es sich damit, wenn eine Partei unrealistisch hohe Forderungen stellt, um die Gegenseite zu Zugeständnissen zu bewegen, die sie sonst nicht gemacht hätte. Diese Strategie kann dazu dienen, den Verhandlungsspielraum zu verschieben oder die andere Partei (emotional) zu überfordern.
Strategien zur Bewältigung von Manipulation
Mediator:innen müssen nicht nur neutral, bzw. allparteilich bleiben, sie dürfen sich auch nicht emotional erpressen oder von manipulativen Drohungen beeinflussen lassen. Entscheidend hierfür ist eine passende Balance zwischen Nähe und professioneller Distanz, um sich sowohl auf die Fakten als auch um die Hintergründe und Motivationen der Manipulationsersuche konzentrieren zu können. Wenn wir erkennen, „was gerade gespielt“ wird, können wir dem entgegenwirken, indem wir die damit verbundenen Befürchtungen und Nöte ins Zentrum rücken. Und nicht die Parteien für ihr Verhalten verurteilen.
Es geht darum durch aktives Zuhören und gezieltes Nachfragen zu den wahren Interessen und Absichten der Parteien zu kommen. Die Manipulation scheut das Konkrete. Fragen wie „Was bedeutet das für Sie?“ oder „Können Sie das näher erläutern?“ nötigen, sich klarer auszudrücken und die tat-sächlichen Motive offenzulegen. Eine offene Kommunikation kann verhindern, dass wichtige Informationen zurückgehalten oder verzerrt werden. Transparenz schafft eine Grundlage für Vertrauen und ermöglicht beiden Parteien, fundierte Entscheidungen zu treffen.
Spiegeln, Pausen machen, die Gemüter wieder etwas abkühlen, können Techniken sein, um Manipulationsversuche, die auf emotionaler Erpressung basieren, zu neutralisieren.
Die klare Struktur und die festen Regeln der Mediation wirken präventiv. Mediator:innen sollten von Anfang an klare Erwartungen setzen und sicherstellen, dass alle Parteien den Prozess und ihre Rolle darin verstehen. Strukturierte Sitzungen und eine klare Agenda helfen, den Fokus zu bewahren und Manipulationsversuche zu minimieren.
Regelmäßige Reflexion und Supervision helfen dabei, eigene Schwächen und Triggerpunkte im Umgang mit Manipulation zu erkennen und die eigenen Strategien zu verbessern.
Erweiterte Techniken und Ansätze
Eine der Grundideen der Mediation ist die Stärkung der Eigenverantwortung der Parteien. Je besser jemand für sich einstehen kann, je mehr man bei sich ist, je besser ist man vor Manipulationsversuchen geschützt. Empowerment reduziert die Abhängigkeit von manipulativen Taktiken, da die Parteien lernen, ihre Interessen und Bedürfnisse klar und direkt zu vertreten. Insofern ist jede Mediation auch ein Lernprozess.
Manipulation ist ja der – vielleicht auch unbewusste – Versuch, mit nicht fairen Mitteln einen Vorteil zu erlangen. Mediation hat aber zum Ziel ein Gespräch auf Augenhöhe zu führen. Wenn wir wahrnehmen, dass eine Seite gerade versucht ein Ungleichgewicht in die Kommunikation zu bringen, ist es unsere Aufgabe, das anzusprechen. Metakommunikation, das Sprechen über das Sprechen, kann hierfür eine wirksame Methode sein. Also ins Gespräch darüber zu gehen, wie es in der Mediation gerade läuft, um wieder miteinander auf Augenhöhe zu kommen.
Realitätstests sind eine weitere Technik, bei der Mediator:innen die Parteien dazu bringen, die Realisierbarkeit und Konsequenzen ihrer Forderungen und Aussagen zu überprüfen. Dies hilft, übermäßige Forderungen und unrealistische Erwartungen zu entschärfen. Fragen wie „Wie wahrscheinlich ist es, dass diese Forderung erfüllt wird?“ oder „Welche Auswirkungen hätte diese Entscheidung in der Praxis?“ können Manipulationsstrategien entlarven.
Fazit
Manipulation kann den Mediationsprozess erheblich beeinträchtigen und die Erreichung einer fairen und nachhaltigen Lösung gefährden. Es ist daher entscheidend, dass Mediator:innen in der Lage sind, solche Strategien zu erkennen und effektiv darauf zu reagieren. Durch Neutralität, aktives Zuhören, Transparenz, emotionale Kontrolle, klare Strukturen, Sicherheitsnetze und regelmäßige Reflexion können Mediator:innen Manipulationsversuchen entgegenwirken und den Weg für eine faire und nachhaltige Konfliktlösung ebnen. Erweiterte Techniken wie das Ausgleichen von Machtungleichgewichten, bewusste Allparteilichkeit, Empowerment der Parteien, Metakommunikation und Realitätstests bieten zusätzliche Werkzeuge, um Manipulation zu erkennen und zu neutralisieren. Letztlich geht es darum, das Vertrauen aller Beteiligten zu gewinnen und einen sicheren Raum zu schaffen, in dem echte Verständigung und konsensuale Lösungen möglich sind.
( Jörn Valldorf und Michael Cramer)