Zuhören? Zuhören!
Newsletter 2/2019
„Das eigentliche Problem bei der Kommunikation ist, dass wir nicht zuhören um zu verstehen, sondern um zu antworten.“ (unbekannt)
In der Mediation erleben wir, dass das Einander-Verstehen der Medianden zunächst blockiert ist. Der Mensch ist oft erst bereit, den anderen zu verstehen, wenn er selbst vom anderen verstanden worden ist. Schwierig ist es immer dann, wenn keiner der Parteien den ersten Schritt tun will. Im Mediationsgespräch versuchen wir daher, zu kleinen Schritten des Aufeinander-Zugehens einzuladen.
Gleichzeitig sind Mediationsprozesse, wie auch andere Beratungsprozesse, irgendwo seltsame kommunikative Situationen. Sie sollen in die Tiefe gehen, sind strukturiert und von Beratern/innen gesteuert. Das unterscheidet sie deutlich von privaten Gesprächen. Über die Struktur des Gesprächs, das bewusste Steuern von gerade hilfreichen oder auch nicht hilfreichen Äußerungen, versuchen wir ein echtes Verständnis der Parteien untereinander zu erreichen. Dafür setzen wir Techniken, wie das Spiegeln ein, um die Äußerungen der Parteien zu übersetzen und zu klären, das Gespräch auf eine andere Ebene zu heben.
Nur, was kann ich spiegeln? Ich kann lediglich das zur Verfügung stellen, was ich selbst gehört habe. Wenn wir es so betrachten, wird Zuhören zur Schlüsselkompetenz für Mediator/innen. Nur was ist das eigentlich? Würden wir direkt gefragt, liegt die Vermutung nahe, dass wir alle von uns behaupten, wir seien gute Zuhörer. Schauen wir in unsere Mediationsausbildungsgruppen, stellen wir immer wieder fest, dass das mit dem Spiegeln gar nicht so einfach ist. Grund genug sich hier nun einmal mit der absoluten Grundlage des Spiegelns, dem Zuhören, zu beschäftigen.
Zuhören, wie geht das eigentlich?
Bevor wir etwas umformulieren oder hinterfragen können, müssen wir es erst einmal gehört und verstanden haben. Wir gehen davon aus, dass wir mit verschiedenen „Ohren“ zuhören können: auditiv, visuell und mit dem Herzen. Hier haben wir es mit Empfindungen, die manches Mal zwar nicht in konkrete Worte gefasst werden können, aber trotzdem überaus real sind, zu tun. Wir gehen in Resonanz mit unserem Gegenüber.
Nun machen aber diese äußeren oder inneren Reize es noch nicht aus, dass wir etwas „gehört“ und verstanden haben. In uns scheint es eine Art Filter zu geben, der diese Reize sortiert oder auch abhält. Ein Filter, der dazu führt, dass wir bestimmte Äußerungen (oder auch Innerungen) nicht hören wollen oder können. Grundlage eines solchen Filters können Prägungen sein, kulturelle Vorannahmen oder auch Abwehrmechanismen. Es gibt Studien, die zeigen, dass wir Informationen weniger gut aufnehmen, oder überhaupt zur Kenntnis nehmen, wenn diese unseren Überzeugungen widersprechen. Übersetzt heißt das: Wir hören am liebsten das, was wir gut finden. Was unserem Bild der Welt wiederspricht, wird hingegen gerne ignoriert.
Zuhören bedeutet also auch, sich neugierig auf die Reise zur Insel des anderen zu begeben, ohne zu wissen, was einen dort erwartet. Zuhören kommt damit auch einem Prozess des Einlassens gleich. Somit ist es auch immer eine Frage des Vertrauens untereinander.
Doch ist es wirklich immer gut, sich über das Zuhören auf den anderen einzulassen? Dass wir dies nicht immer tun, hat auch damit zu tun, dass wir bewusst wie unbewusst versuchen, gut auf uns aufzupassen. Hören wir beispielsweise Dinge, die uns emotional stark berühren, besteht eine Tendenz Dinge zu „überhören“, diese, bewusst oder unbewusst, zu ignorieren, weil wir unsicher sind, wie wir damit umgehen sollen. Zuhören schafft Verbindung. Nur wollen wir uns immer verbinden? Die Angst vor den eigenen oder den Gefühlen der anderen kann uns vom Zuhören abhalten. Eigene Erfahrungen und Erlebnisse und damit verknüpfte Gefühle können (Schutz-)Barrieren beim Versuch des Zuhörens darstellen.
Dieses in Verbindung treten, welches sich über echtes Zuhören einstellt, ist ein Prozess der Synchronisation mit dem Gegenüber. Es ist ein Versuch einen gemeinsamen Rhythmus zu finden. Wir würden dies als eine Art gemeinsame (innere) Bewegung beschreiben. Vergleichbar mit dem Gefühl, das sich bei einem gemeinsamen Spaziergang einstellt, sobald sich die Schritte und das Tempo aufeinander eingestellt haben.
Spiegeln, wie auch andere Techniken, sind für Mediation notwendig. Diese Techniken müssen wir so selbstverständlich beherrschen, dass wir nicht mehr darüber nachdenken müssen. Erst dann kann unsere Aufmerksamkeit ganz beim Gegenüber sein und wir können das leisten, was am dringendsten notwendig ist: Verständnis. Und Verständnis leitet sich von „verstanden werden“ ab. Und wann fühlen wir uns wirklich verstanden? Immer dann, wenn uns jemand wirklich zuhört.
Zuhören als gesellschaftliche Aufgabe
Zuhören scheint momentan für uns auch gesamtgesellschaftlich eine große Herausforderung zu sein. Viele Menschen haben das Gefühl, dass sie sich nicht verstanden fühlen und deshalb auch nicht mehr bereit sind, anderen zuzuhören. Der Akku der Toleranz, des „Ich habe dich noch nicht ganz verstanden, und bis dahin verurteile ich dich nicht“, scheint bei vielen Menschen aufgebraucht zu sein.
Je mehr die traditionellen gesellschaftlichen Institutionen, in denen Menschen sich beheimaten, wie Nachbarschaften, Vereine, Gewerkschaften, Parteien, erodieren, bzw. sich verändern, desto wichtiger wird es für Menschen das Gefühl zu haben, dass ihre Anliegen verstanden werden. Diese Institutionen waren und sind ja nicht nur Orte des Zuhörens, sie sind auch wichtige Korrektive, in denen sich Meinungen und Stimmungen mit anderen im Austausch abgleichen. Hier werden Sorgen, Ängste und Nöte benannt und, wenn es gut geht, verstanden, aber auch in Beziehung gesetzt. Und es sind Orte, an denen etwas bewegt werden kann. Wenn diese Foren nun erodieren, bleibt aber trotzdem das Bedürfnis, verstanden zu werden, welches nun von Politik und Medien als „Verständnis haben“ aufgegriffen wird.
Vielleicht hat auch der Gestus des Verständnis-Äußerns Erwartungen geweckt, die so von Politik und Verwaltungen gar nicht erfüllt werden können. Verständnis als Sonderform des Verstehens ist nun mal eine menschliche Fähigkeit und nichts, was durch z.B. einen Verwaltungsakt ersetzt werden kann. Auch kann man Verständnis nur erbitten, nicht verlangen.
Doch bei aller Vergegenwärtigung der Bedeutung des Zuhörens, ist in der Folge zu berücksichtigen, dass Verständnis signalisieren und dann weitermachen wie bisher, nicht ausreicht. Geschieht dies, hinterlassen solche sicherlich gut gemeinten Räume des Dialogs häufig den Eindruck, dass das Gesagte und Gehörte mal schnell, mal weniger schnell, verloren geht. Dabei sind getätigte und gehörte Aussagen vergleichbar mit einem Rohdiamanten. Einem Rohdiamanten, der im Anschluss weiterer Pflege bedarf, um in voller Kraft zu glänzen. Pflege, die im übersetzten Sinne bedeutet, die wirklichen Anliegen hinter dem Gesagten zu verstehen und echte Möglichkeiten zur passenden Bearbeitung zu entwickeln. Nur echtes Zuhören, kann dazu führen, dass die wirklichen Anliegen verstanden und entsprechend bearbeitet werden. Und genau hier könnte auch eine Aufgabe für uns Mediatoren und Berater liegen. Wir sind schließlich Profis im Zuhören, im Übersetzen und damit Verstehen. Zuhören sollte daher nicht zur gesellschaftlichen oder politischen Phrase werden, sondern als gemeinsamer Auftrag zum gegenseitigen Verständnis und Veränderung verstanden werden.
(Michael Cramer, Rüdiger Hausmann (Rheinmediation), Vera Junker)