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Positive Psychologie

Mediation plus: Wie Mediator*innen von der Positiven Psychologie profitieren können | Newsletter 1/2022

Praktizierende Mediator*innen kennen es alle aus Erfahrung. In den meisten Fällen sind wir erfolgreich, am Ende steht eine Einigung. Ist die Mediationsvereinbarung der einzig wirkliche und messbare Erfolg? Oder können wir mehr? Eine gestörte Kommunikation in konstruktive Bahnen lenken; Empathie und Verständnis für die andere Seite wecken; Stress und Misstrauen abbauen; oder gar negative Beziehungen heilen und positive Emotionen wecken.

Die meisten von uns würden bejahen: Ja, das ist mir in einer Reihe von Fällen gelungen.

Primär beschränkt sich Mediationsforschung, wenn sie Wirkungsforschung betreibt, auf das messbare Ergebnis, die Einigung. Andere Komponenten, wie Stress – Stressabbau; Belastung – Entlastung; gestörte Kommunikation – konstruktive Kommunikation; Misstrauen – Verständnis; negative Beziehung – positive Beziehung etc. werden geflissentlich übersehen. Zugegeben, sie sind schwierig zu erfragen und in Studien festzuhalten.

Seit einigen Jahren beschäftigt mich das relativ neue Fachgebiet der Positiven Psychologie, die wissenschaftlich fundierte Lehre vom menschlichen Wohlbefinden. Positive Psychologie untersucht, was den Menschen glücklich macht, will sein Wohlbefinden steigern und zum Aufblühen (flourishing) des Individuums beitragen, regt Persönlichkeitsentfaltung an. Primäres Ziel der traditionellen Psychologie hingegen ist es, psychische Erkrankungen und Störungen zu heilen.

Die Positiven Psychologie ist für mich mittlerweile eine Art Schatzkiste, eine Quelle der Inspiration für meine Mediationen und Ausbildungen geworden. Verschiedene Theorien und Interventionen der Positiven Psychologie lassen sich – nach entsprechender Modifizierung – als hilfreiche Instrumente in der mediativen Praxis einsetzen. Die Methoden erhalten besonderes Gewicht, da ihre Wirksamkeit überwiegend durch wissenschaftliche Studien verifiziert sind.

Ein Grundmodell der Positiven Psychologie basiert auf der Seligman’schen Theorie des Wohlbefindens, die nicht bloß das Quantum Glück des Einzelnen beschreiben und messen will. Martin Seligman, ein Pionier der Positiven Psychologie, beschreibt in seinem Konzept fünf Komponenten, die ein Aufblühen des Individuums unterstützen. Aus dieser Einsicht entwickelte er das sog. PERMA-Modell:

Positive Emotions, Engagement, Positive Relationships (Beziehungen), Meaning (Sinn), Accomplishment (Gelingen, Erfolg). 1

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Quelle: https://www.authentichappiness.sas.upenn.edu/learn


Was hat das Seligman’sche Modell mit Mediation zu tun?

Bei genauerer Betrachtung fallen Schnittmengen mit der Mediationsmethode unübersehbar ins Auge. Und, das PERMA-Modell zeigt uns, in welchem Maße wir mit unserem mediativen Handeln zu positivem Wohlbefinden unserer Klienten beitragen und darüber hinaus selbst auf einem guten Weg zur eigenen Sinnfindung schreiten.

Positive Emotionen: Konfliktparteien kommen in der Regel mit einem ganzen Bündel negativer Emotionen in die Mediation. Es dominieren Verärgerung, Gefühle von Verletzung und Demütigung, Ohnmachtsgefühle, Trauer, Verlegenheit, Niedergeschlagenheit, Angst oder Hass. Manche von ihnen zeigen psychosomatische Reaktionen. Mit einer Langzeitstudie, die 1.607 Mediationsfälle von Kindern im Alter von fünf bis zehn Jahren erfasst, stellten wir fest, dass 90 % der Kinder durch negative Gefühle bei Beginn der Mediation belastet waren. Nach der Mediation drehte sich die Gefühlslage geradezu um 180 Grad. 93 % der Kinder fühlten sich nach dem Mediationsritual „sehr gut“, „gut“ oder „eher gut.“ 2 Mit der Mediationsmethode haben wir demnach ein mächtiges Instrument in der Hand, das zum allgemeinen Wohlbefinden unserer Klient*innen beiträgt. Studien zur Gefühlslage bei Erwachsenen vor und nach einer Mediation sollten nachgeholt werden. Als Stimmungsaufheller können wir beispielsweise die Standardübung der Positiven Psychologie, den positiven Tagesrückblick, einsetzen.

Positive Beziehungen: Häufig überlagert eine gestörte Beziehung der Mediant*innen die Sachebene bei der Konfliktbearbeitung. Die Betrachtung der Klient*innen reduziert sich gegenseitig auf negative Attribute. Gelegentlich wird der andere dämonisiert. Wer nicht nur puristische oder facilitative Mediation sondern transformative Mediation betreibt, weiß von der Notwendigkeit einer wenigstens neutralen oder besser positiven Beziehung für eine nachhaltige Lösung des Konflikts. Reframing, konstruktiv Umformulieren und Perspektivwechsel sind in einem solchen Fall adäquate und bekannte Werkzeuge.

Einen durchgreifenden positiven Wandel bewirkt häufig die 360-Grad-Aufnahme3, die auf der Mind-Set-Theorie von Carol Dweck4 beruht. Dabei werden die Klient*innen aufgefordert, sowohl als negativ empfundene als auch positive Eigenschaften des anderen zu benennen.

Gelingen, Erfolg: Diese Eigenschaft wird durch Mediation gestärkt, indem wir Mediant*innen unterstützen, ihre eigene, ihnen als fair und gerecht erscheinende sowie praktikable Lösung zu erarbeiten. Die Mediant*innen setzen sich mit dem Moderator an einen Tisch und erfahren die Wertschätzung eigener Bedürfnisse und erarbeiten Lösungsvorschläge, ohne auf ein autoritäres Urteil von außen zurückgeworfen zu sein. Transformative Mediation bezeichnet das als Empowerment.

Aus Sicht des PERMA-Modells reduziert Mediation negative und fördert positive Emotionen, verbessert belastete Beziehungen und trägt zu eigenen Erfolgserlebnissen und Selbstvertrauen (Gelingen) bei.

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Positive Effekte der Mediation für unsere Klient*innen


Welche positiven Auswirkungen hat Mediation für Mediator*innen?

Die meisten Mediator*innen, die ich kenne, sind intrinsisch stark motiviert, etwas Sinnvolles für sich und die Gesellschaft zu leisten, sich für eine friedvolle Streitbeilegung zu engagieren, an einer besseren Konfliktkultur mitzuarbeiten, Kommunikation zu verbessern. Mediation ist kein Beruf wie andere. Sinnfindung, Sinnstiftung und gesellschaftliches Engagement stehen häufig im Vordergrund: Angesprochen sind die Elemente Sinn und Engagement nach dem Seligman’schen Modell.

Das Erlernen der Mediationsmethode führt nicht nur zu Erfolgen bei der Konfliktlösung, sondern bereichert zudem persönliche Kompetenzen und den Wachstumsprozess des Individuums.

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Positive Effekte der Mediation für Mediator*innen

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass wir uns mit der Praxis der Mediation auf einem vielversprechenden Weg im Sinne der Positiven Psychologie bewegen. Alle fünf Komponenten der Seligman’schen Theorie des persönlichen Wohlbefindens und des Aufblühens sind abgebildet: Positive Emotionen, Positive Beziehungen, Engagement, Sinn, Gelingen.

Interventionen der Positiven Psychologie, deren Wirksamkeit durch wissenschaftliche Studien belegt sind, können ebenfalls - mit Abwandlungen – im Mediationsverfahren gewinnbringend eingesetzt werden: 360-Grad-Aufnahme , Positiver Tagesrückblick, Mood Meter, Vergebungsbrief, Arbeit mit Charakterstärken, Achtsamkeit, Ressourcenmodell, Dankbarkeitsbrief, um nur einige zu nennen. Die Methoden können hier leider nur angedeutet werden.


Prof. Dr. Ansgar Marx leitet das iko Institut für Konfliktlösungen, Braunschweig/Wolfenbüttel. Er praktiziert Arbeits- und Scheidungsmediation und bildet zertifizierte Mediator*innen aus. Zuletzt hat er sich in Positiver Psychologie an der UC Berkeley, USA und bei abb-Seminare, Pößneck weitergebildet.


Text als PDF zum Download

1) Seligman, M., Flourish, New York 2015: 45 ff.
2) Marx, A., ZKM, 2021: 107 ff.
3) Marx, A., Die Mediation, 2021: 54 ff.
4) Dweck, C., The New Psychology of Success, New York 2016