Was heißt hier schon freiwillig?
Freiwillig heißt nicht freudig | Newsletter 4/2020
Das Mediationsgesetz bestimmt, dass die Teilnehmer/innen an einer Mediation freiwillig teilnehmen. Wenn wir aber so auf unsere Praxis schauen, schaut es nicht immer so aus, dass dies immer so ist. Wir wollen dies zum Anlass nehmen den Begriff und das Wesen der Freiwilligkeit in der Mediation mal ein bisschen genauer unter die Lupe zu nehmen.
Die Grundidee der Mediation ist es ja, dass die Konfliktparteien mit der Unterstützung der Mediator/innen eine selbstverantwortete, für sie passende Lösung für ihren Konflikt erarbeiten. Damit dies gelingen kann, muss es bei den Konfliktbeteiligten eine Bereitschaft geben, diese Aufgabe offen, ehrlich und ernsthaft anzugehen. Offen, weil die bisherige Kommunikation über die strittigen Themen in der Regel nicht so offen war, dass eine Lösung gefunden werden konnte, ehrlich, weil alle Fakten, die man für eine Lösung in Betracht ziehen muss, anerkannt und auf den Tisch müssen und ernsthaft, weil eine Lösung nur möglich ist, wenn sich alle nicht nur formal, sondern auch innerlich an dem Prozess beteiligen müssen. Für alle drei Punkte braucht es eine Bereitschaft dies zu tun und diese Bereitschaft ist nur vorhanden, wenn wir dies freiwillig tun.
Nur Freiwillig heißt nicht freudig. Selten erleben wir Menschen, die sich auf die Mediation freuen, zumindest in den ersten Sitzungen. Die Umstände des Konflikts nötigen die Menschen zu einer Klärung, weil die Situation, so wie sie ist, nicht bleiben kann. Das Zusammenleben ist schwierig bis unerträglich, die Situation mit dem Aufenthaltsort der Kinder unbefriedigend, die Zusammenarbeit schwer gestört usw.Freiwilligkeit der Teilnahme
Ob ich an einer Mediation teilnehme, mich darauf einlasse, ist eine Abwägungsfrage im Lichte meiner Alternativen zur Klärung und bei den Lösungen.
Statt eine Mediation zu machen, könnte ich das Problem auch aussitzen, einseitig Fakten schaffen in der Hoffnung, dass sich die Dinge dadurch für mich zum Besseren wenden oder die Bearbeitung des Konfliktes nach Außen, z.B. an Anwälte, Gerichte oder Führungskräfte delegieren. Jede dieser Entscheidungen ist mit Kosten verbunden, inneren und realen. Den Konflikt weiter auszuhalten kostet mich Lebensenergie und Freude, Anwälte und Gerichte zu bemühen kostet in der Regel Geld und Nerven und die Delegation an Führungskräfte schlimmstenfalls den Job. Will ich aber Kosten abwägen, muss ich die Kosten kennen. Freiwilligkeit hängt also mit Informiertheit zusammen. In der Regel kennen wir diese aber nicht vollständig. Wir wissen nicht wirklich, was uns Prozesse oder Aussitzen wirklich kosten. Ganz davon abgesehen, dass Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation und Leid damit nur schwer zu beziffern ist. Wir müssen also abwägen zwischen den Kosten einer Mediation (inneren und realen), den Kosten alternativer Klärungen oder Nicht-Klärungen und Chancen, die die Mediation bieten könnte (die wir letztlich auch nicht vollständig kennen können.) Da viele Menschen in einer eingefahrenen und emotionalisieren Konfliktsituation nicht unbedingt vorrangig rational abwägen und entscheiden können, könnte es eine unserer Aufgaben sein im Vorgespräch bzw. Einzelgesprächen diesen Abwägungsprozess zu beleuchten und zu unterstützen.
Wenn wir auf Trennungs- und Scheidungsmediationen schauen erleben wir dies in der Praxis genauso. Die Parteien wissen, dass sie, wenn sie Kinder haben, sie auch nach der Trennung weiter miteinander zu tun haben müssen, wenn sie ihre Kinder weiter sehen möchte. Sie wissen also, dass sie weiterhin voneinander abhängig sein werden. Im besten Fall schaffen es Ex-Paare einen Modus für ihre neue Rolle, als nur-noch-Eltern zu finden, mit dem beide ihren Frieden gemacht haben und der die Bedürfnisse der Kinder im Blick hat. Diese ganzheitlich Betrachtung, also innerer Frieden und pragmatische Lösungen, ist die Spezialität der Mediation. Man kann sich aber, zumindest in der Bundesrepublik, mit seinem funktionierenden Hilfe- und Rechtssystem auch mit weniger zufrieden geben. Gerichte und Jugendämter können zwar keinen Perspektivwechsel ermöglichen aber Lösungen geben, mit denen es weitergehen kann. Diese Alternativen ermöglichen die Freiwilligkeit der Mediation.
Im Arbeitskontext ist es häufig so, dass Kolleg/innen in die Mediation von ihrer Führungskraft geschickt werden. Die Mediation wird also quasi angeordnet und ist Teil der Arbeitszeit. Zumindest einige nehmen nicht „freiwillig“ an der Mediation teil und äußern sich auch so. Müssen wir also die Mediation beenden, weil wir nach dem Mediationsgesetz verpflichtet sind uns zu vergewissern, dass die Parteien freiwillig an der Mediation teilnehmen (§2, 2)? Wir denken nein, denn die Parteien haben ja jederzeit die Möglichkeit, die Mediation zu verlassen, nichts zu sagen, keinen Beitrag zur Klärung zu leisten oder einfach nicht zu erscheinen, wie z.B. einfach krank zu werden. Die Konsequenzen der Nicht-Klärung sind etwas anderes. Hier müssen die Parteien abwägen. Verliere ich evtl. meinen Job, habe ich gute Alternativen, verschlechtert sich mein Ansehen im Unternehmen oder bei meiner Führungskraft oder profitiere ich gar von einer Nicht-Klärung.
Unsere Aufgabe als Mediator/innen kann dabei zwar sein, die Bereitschaft zur Teilnahme zu befördern, z.B. indem wir über das Verfahren aufklären, mit den Parteien die möglichen Vorteile einer einvernehmlichen Lösung oder die Nachteile alternativer Lösungen erarbeiten, sie aber keinesfalls zur Mediation überreden, egal wie überzeugt wir von Mediation sind.
Wenn der Arbeitskontext der Parteien unbearbeitet Konflikte duldet, kann natürlich die Motivation zur Klärung sinken, In der Regel stören Konflikte aber das Arbeitsklima und verschlechtern die Ergebnisse. Es gibt daher kein Recht auf Konflikt oder Nichtklärung. Nur die Form der Klärung ist verhandelbar. Gleichzeitig können wir als Mediator/innen sowohl bei der Auftragsklärung als auch während der Mediation deutlich machen, dass die Bearbeitung des Konflikts an unterschiedlichen Stellen geleistet werden muss. Es könnte z.B. sinnvoll sein, dass es ein gesondertes Format für Führungskräfte gibt, wie Coaching oder Supervision, oder dysfunktionale Strukturen, die den Konflikt befeuert oder gar ausgelöst haben, an anderer Stelle mit den entsprechenden Verantwortlichen bearbeitet werden.
Freiwilligkeit im Prozess
In der eigentlichen Mediation habe ich als Teilnehmer/in die Freiheit Beiträge zu leisten wie ich will und kann, so sieht es auch das Mediationsgesetz vor, und die Mediation jederzeit beenden (§2, 5).
Unsere Aufgabe als Mediator/innen dabei ist es, zu erkennen, ob eine Äußerung wie „ich glaube, das bringt hier alles nichts“ als innere Kündigung zu verstehen ist, oder ob es sich „nur“ um einen schwierigen Moment in der Mediation handelt, in dem die Parteien die Hoffnung auf einen guten Fortgang verloren habe und sie unsere Unterstützung brauchen.
Freiwilligkeit der Vereinbarung
Idealerweise schließen Mediationen mit Vereinbarungen ab, die die Konflikte so für die Parteien lösen, dass sie künftig wieder alleine klar kommen. Wir als Mediator/innen gehen berechtigterweise davon aus, dass die Bereitschaft, sich an getroffene Vereinbarungen zu halten steigt, wenn diese konsensual getroffen wurden, also freiwillig und ohne Zwang. Natürlich wissen wir, dass es für manche Konflikte eine Lösung braucht, aber das ist ja eine Frage der Alternativen, die ich für mich bewerten muss. Auch hier müssen die Parteien abwägen. Ist das, was in der Mediation vereinbart werden kann, besser als das, was ich alleine oder auf anderem Wege erreichen kann? Und dies sowohl auf der pragmatischen wie auch auf der emotionalen Ebene und in Bezug auf die Gegenwart und die Zukunft. Mit anderen Worten: Kann ich meinen Frieden machen, habe ich so viel bekommen, dass ich von der gefunden Lösung nicht mehr abweichen möchte, passt es heute für mich und ist das Ergebnis auch so, dass ich künftig gut damit umgehen kann.
Aus diesen Gründen halten wir es auch für sinnvoll, dass Parteien ihre gefunden Lösungen erst einmal für sich und ggf. mit externen Experte, wie Anwälten, überprüfen, darüber schlafen, sich selbst überprüfen, ob sie bereit für Lösungen sind und sich über ihre Alternativen informieren. Nur so können wir hier Freiwilligkeit absichern.
Fazit
Es gibt also drei Momente im Mediationsprozess, an denen ich meine Freiwilligkeit im Mediationsprozess realisieren kann. In der Überlegung, ob ich teilnehmen möchte, ob ich die Mediation weiterführen will und beim Abschluss der Vereinbarung. Letztlich sind dies alles Momente in denen ich, in möglichst guter Kenntnis meiner Alternativen entscheiden muss, ob es sich für mich lohnt. Und wir als Mediator/innen müssen aufmerksam dafür sein und die Parteien nicht in etwas reinquatschen, was sie nicht wirklich wollen.