Kompetenzen für Mediator:innen
was wir können sollten | Newsletter 4/2022
Seit vielen Jahre bilden wir Mediator:innen aus und noch länger mediieren, coachen und begleiten wir Prozesse. Und immer wieder stellt sich die Frage: Welche Fähigkeiten brauche ich, um gut arbeiten zu können. Und das umso mehr, als wir alle in ganz unterschiedlichen Feldern der Mediation unterwegs sind. Eine Mediation mit einem Ex-Paar, welches sich gerade scheiden lässt, ist etwas anderes als eine Mediation in einem Start-up oder für ein Team einer städtischen Verwaltung. Davon abgesehen, dass auch jedes Paar, jedes Start-up und jede Verwaltung anders ist. Es sind nicht nur die konkreten Menschen, die unterschiedlich sind, es sind auch deren Geschichte, deren Kultur und deren Strukturen. Wir tun uns, zumindest sind wir davon überzeugt, einen Gefallen, bei allen Gemeinsamkeiten in den jeweiligen Feldern auch die spezifischen Unterschiede zu sehen.
Was ist es also, was wir brauchen, damit wir gut mediieren können?
Vor etwas mehr als 10 Jahren gab es einen Artikel im Spektrum der Mediation von Manuel Tusch und Nora Lichtenstein mit dem Titel: Kompetente Mediatoren – Ein Anforderungsprofil. Sie nehmen darin eine Aufteilung zwischen Techniken und Fähigkeiten vor. Unter der Rubrik Techniken finden sich die üblichen Kommunikationstechniken der Mediation: spiegeln, Umformulieren usw., aber auch „Gespräche strukturieren“. Fähigkeiten beziehen sich im Wesentlichen auf die Haltung anderen Menschen oder sich selbst gegenüber: Emotionale Intelligenz, die Fähigkeit mit anderen in Beziehung gehen zu können, aber auch mit sich im Reinen zu sein, sich abgrenzen zu können oder Gelassenheit im Konflikt der anderen.1
Wir selbst verwenden in der Regel eine Aufteilung zwischen „Mit der Struktur der Mediation arbeiten können“, „Methoden und Techniken der Gesprächsführung“, „Haltung“ und „Analysefähigkeiten“. Wir möchten hier aus jedem Teilaspekt ein oder zwei Punkte herausgreifen und diese etwas näher erläutern. Unten finden Sie zudem eine Übersicht über die Aspekte unseres Kompetenzmodells.2
Methoden und Techniken
„Achtung, jetzt kommt eine Methode!“ Darum geht s uns nicht. Es geht nicht um eine wahllose und manchmal auch aus der Not geborene Aneinanderreihung von Methoden und Techniken, sondern um einen unaufdringlichen, gezielten und reflektierten Einsatz von Methoden, um die Kommunikation zwischen den Parteien wieder in Gang zu bringen. Und am besten ist es, wenn sich die Konfliktparteien nicht mit der Zustimmung oder Ablehnung einer bestimmten Methode beschäftigen müssen sondern diese als quasi natürlich erleben und sich dadurch ganz auf sich, den anderen und den Konflikt konzentrieren können.
Phasen und Abläufe kennen und mit ihnen arbeiten
Im Konflikt geht uns die Gesprächsstruktur verloren, was es uns schwer macht den Konflikt zu lösen. Mediation ist aus diesem Grund ein stark strukturiertes Verfahren. Die Phasen der Mediation stellen eine solche Struktur zur Verfügung. Nur jeder Konflikt ist anders und die jeweiligen Konfliktparteien brauchen Unterschiedliches, um wieder in ein konstruktives Fahrwasser zu kommen. Die einen wollen und müssen tiefer tauchen, die anderen benötigen erst einmal eine schnelle pragmatische Lösung. Ein Paar, welches sich gerade frisch getrennt hat und in dem eine Seite tief verletzt ist, muss vielleicht erst einmal Lösungen für den Umgang mit den Kindern in den nächsten Monaten finden, während Kolleg:innen, die schon jahrelang nicht miteinander geredet haben und einen kalten Konflikt pflegen, sich eher in die Ursachenforschung begeben müssen. Übersetzt heißt das, dass wir uns zwischen den Phasen Zwei (Konfliktschilderung und Themenfindung), Drei (Konflikterhellung) und Vier (Lösungssuche) dynamisch und bedarfsorientiert bewegen müssen. Es ist in Ordnung, wenn wir noch nicht alle Themen kennen, sondern uns erst einmal mit dem beschäftigen, was dringend ist. Genauso wie es ok ist, erst einmal eine pragmatische Lösung für etwas zu finden, was dringend einer sofortigen Lösung bedarf und dafür den Perspektivwechsel erst einmal zu vernachlässigen.
Wir halten es aber für sinnvoll, dass wir wissen, was wir tun: Wir sollten wissen, dass wir etwas kürzer oder länger machen, eine Phase überspringen oder intensivieren. Nur so haben wir die Chance die Vor- und Nachteile unseres Vorgehens abzuwägen und sie auch mit den Konfliktparteien zu besprechen und damit transparent im Prozess zu sein. (Vgl. Tipp 2 NL 1/2021)3
Analyse: verstehen, was bei der Kundschaft passiert
Eine der größten Herausforderungen der Mediation ist unserer Ansicht nach, sich angemessen in die Lebens und Arbeitswelten unserer Kund:innen hereinzudenken, den Konflikt zu verstehen und dabei nicht zu schnell in ungeprüfte Vorannahmen zu verfallen.
Mediation dreht sich im Kern um Beziehungen. Die Umstände, in denen man liebt, lebt, arbeitet, sind der Rahmen, der den Konflikt konstituiert, befriedet oder befeuert. Und sie bieten auch den Rahmen, in dem Lösungen als möglich erachtet werden. Strukturen oder Rahmenbedingungen sind aber nicht die Konfliktursache, haben aber trotzdem einen wichtigen Einfluss auf die Konflikte der Menschen.
Wir müssen sie also verstehen und uns gleichzeitig nicht im Dickicht der Fakten verlieren, damit wir die mediative Beziehungsarbeit leisten können. Die Konfliktparteien sind dabei im Vorteil: Sie leben in ihren Lebens- und Arbeitsstrukturen tagtäglich, kennen alle Verwandten, Vorgesetzte, Kollegen, die Familien oder Firmenkultur, die finanziellen oder organisationalen Möglichkeiten und vor allen kennen sie die Gesprächskultur. Das heißt, die Codes, in denen Zustimmung der Dissense jenseits des gesprochenen Wortes ausgedrückt werden.
Wir hingegen bekommen nur einen ganz kleinen Ausschnitt aus dem Leben unserer Parteien mit. Ein paar Mal 90 Minuten oder zwei Mal einen halben Tag und ein paar Vorgespräche. Und natürlich auch nur das, was die Menschen uns darüber erzählen. Wir erleben unsere Konfliktparteien ja nicht in deren Alltag.
Wir glauben, dass es für Mediator:innen hilfreich ist, sich schnell in andere Strukturen und Welten hineindenken zu können. Wir erleben es durchaus als herausfordernd, wenn man an einem Tag für eine und am anderen Tag für eine andere Organisation arbeitet. Selbst wenn beide aus einer Branche wären, sind sie am Ende doch immer wieder erstaunlich verschieden.
Branchenkenntnis, Stallgeruch, weil man selbst mal in dem Bereich gearbeitet hat, oder darin Erfahrung hat, mögen da hilfreich sein. Wenn mir grundlegende Rahmenbedingungen unklar sind, haben die Menschen – zurecht – das Gefühl, dass ich mich zu wenig auskenne. Wenn ich Trennungen und Scheidungen mediiere, sollte ich wissen, was ein Zugewinn oder ein Ehevertag sind. Wenn ich im universitären Kontext arbeite, wäre es gut zu wissen, dass Dekan nicht nur ein kirchliches Amt ist usw. Aber wenn ich vermeintlich schon alles weiß, weil ich mich in der Branche, der Firma schon jahrelang bewegt habe, bin ich auch nicht mehr offen, für die spezifischen Situationen meiner Kund:innen. Wir haben das in unserem Newsletter 1/2021: 'Tipps für die Mediation' „Bilde Hypothesen und sei bereit sie zu verwerfen“ genannt.4
Die Frage, die sich also stellt, ist: Wie viele Fach- und Feldkompetenz ist notwendig, hilfreich und ab welchem Punkt wird sie ggf. hinderlich. Darauf wird es keine klare Antwort geben können, aber vielleicht kann man ja sagen, dass zu wenig Wissen dazu führen kann, dass die Parteien uns zu viel von den Rahmenbedingungen erzählen müssen (oder sich eingeladen fühlen), damit wir mitdenken können und sie den Eindruck haben, wir verstehen deren Probleme. Sehr viel Fach- und Feldwissen kann dazu führen, dass wir im Standardwissen verhaftet bleiben, den spezifischen Einzelfall aus dem Blick verlieren, das Denkfeld zu schnell schließen. Beispiele hierfür könnten sein: Ich habe selbst in einem Unternehmen, für welches ich gerade mediiere, gearbeitet oder ich bin seit vielen Jahren Familienrechtler:in und mediiere in einer komplexen Scheidungsmediation o.ä.
Selbstverständlich sind alle anderen Analysetools, die wir in unserem Koffer haben, sinnvoll und notwendig, um die Parteien zu verstehen. Hierbei denken wir insbesondere an Möglichkeiten Konflikte und deren Eskalation zu verstehen (z.B. Konfliktarten, Eskalationsstufen), Modelle, um die Kommunikation der Parteien zu verstehen (z.B. Vier-Ohren-Modell, Teufelskreismodell), Möglichkeiten, die Team- und Gruppendynamik zu erklären (z.B. Riemann-Thomann-Kreuz, Teamphasen, Systemgesetze) oder Wissen um die intrapsychischen Auswirkungen von Konflikten (z.B. Krisenverlauf, Reaktionen im Stress).
Haltung
Im Konflikt zeigen wir nicht unsere Schokoladenseite. Umso wichtiger ist es, dass wir dies als Mediator:innen im Bewusstsein haben und immer wieder uns und unsere Haltung den Konfliktparteien gegenüber reflektieren. Offen sein, aber auch Grenzen setzen. Alle hören und mitbekommen, wer mehr oder weniger Redezeit benötigt. Für alle da sein, niemanden verprellen und gleichzeitig Menschen schützen. Das ist die Herausforderung.
Einen besonders herausfordernden Punkt möchten wir an dieser Stelle herausgreifen. Um Menschen zu schützen, müssen wir unsere allparteiliche Rolle reflektiert einsetzen. Wir können nicht für alles offen sein und alle Äußerungen gleichwertig nebeneinanderstehen lassen. Offensichtliches Unrecht, klare Verstöße gegen Regeln, Gewalt in jeglicher Form, müssen von uns – auch wenn wir allparteilich sind – klar als das benannt werden, was es ist: Unrecht, ein Verstoß gegen Regeln oder Gewalt, die nicht zu tolerieren ist. Über die Auswirkungen von Gewalt oder eines Regelverstoßes auf die künftige Beziehung der Parteien können wir selbstverständlich in der Mediation reden. Aber wenn Unrecht oder Gewalttaten selbst in einer Form besprochen werden, der es den Täter:innen erlauben würde diese zu rechtfertigen und es den Opfern aufnötigen würde, sich dafür erklären zu müssen, warum sie Unrecht oder Gewalt nicht akzeptieren möchten, bringen wir die Opfer in eine unzumutbare Lage.
Wir haben oben geschrieben, dass es dafür eines reflektierten Umgangs mit der Allparteilichkeit bedarf. Dies gilt insbesondere, weil wir aufpassen müssen, dass wir nicht ausschließlich unsere Maßstäbe von z.B. Unrecht oder angemessener Sprache anlegen können. In der Mediation können wir uns wundern über Äußerungen der Mediand:innen, und dürfen dies auch thematisieren, wenn es für die Klärung dienlich ist. Hierbei geht es um das, was Bernd Fechler in der Diskriminierungsmatrix Vertrickungen nennt.5 Es also möglicherweise unbeabsichtigt ist. In diesem Moment die Mediand:innen zu belehren wäre hier keine sinnvolle Intervention. Wenn allerdings eine Seite eine dieser Äußerungen für sich als beleidigend ansehen würde, wäre es angezeigt, hierzu eine klare Haltung zu haben auch um die Mediand:innen zu schützen. Etwas beschwichtigen wäre hier ein Fehler.6
In einer Mediationskarriere (-Ausbildung) sollten nach unserer Erfahrung diese Kompetenzen in allen vier beschriebenen Bereichen aufgebaut und diese durch die Mediationspraxis und zielgenaue Weiterbildungen stetig gestärkt und erweitert werden. So ermöglichen wir es Mediand:innen einen wertschätzenden Mediationsraum zu betreten, in dem sie durch Täler und Höhen der Konfliktklärung wandern können, und durch die kompetente Mediator:in gehalten und gefordert werden, den nächsten Schritt zu gehen.
1) Manuel Tusch und Nora Lichtenstein: Kompetente MediatorInnen – Ein Anforderungsprofil. In Spektrum der Mediation 41/2011. 2) Kompetenzmodell Mediation von klären & lösen3) Newsletter 1/2021: 'Tipps für die Mediation', Tipp 2 4) Newsletter 1/2021: 'Tipps für die Mediation', Tipp 1 5) Bernd Fechler: Die Diskriminierungsmatrix. Von der Moralisierung zum Verantwortungsdialog. In: Peter Knapp (Hrsg.): Konflikte lösen in Teams und großen Gruppen. Bonn 2013. 6) Das Beste, was wir dazu kennen, findet sich bei Birgit Keydel (Hrsg.): Die Big Five der Konfliktarbeit. Frankfurt am Main 2021.