Der Markt der Mediation
wie wir als Mediator:innen sichtbar werden können | Newsletter 1/2023
Öfter hören wir von (neuen) Kolleg:innen, dass es schwierig sei, an Mediationen zu kommen. Konflikte gibt es ja genügend, nur scheinen sie sich nicht unmittelbar in Mediationen zu übersetzen. Wir möchten diesem Phänomen hier mal auf die Spur kommen. Liegt es an der (Un)Bekanntheit der Mediation an sich oder daran, dass potentiellen Kund:innen mich als Mediator:in nicht finden?
Laut Statista haben 2020 86% der über 16-jährigen schon mal gehört, dass es Mediation gibt.1 Und 56% der Befragten glauben daran, dass man mit Mediation viele rechtliche Auseinandersetzungen beilegen kann. Es liegt also weniger an der Bekanntheit des Verfahrens oder daran, dass Menschen nicht glauben, dass Mediation erfolgreich sein kann, wenn Mediator:innen keine Mediationen bekommen. Besonders interessant finden wir, in welchen Bereichen Mediation als geeigneter als ein Rechtsstreit empfunden wird: 87% denken das bei Nachbarschaftsstreitigkeiten, immerhin 60% bei Auseinandersetzungen um das Sorgerecht für Kinder, nur 17% in Auseinandersetzungen um staatliche Baumaßnahmen.2 Man könnte daraus ableiten, dass Mediation umso geeigneter erscheint, je eher die Beziehung der Menschen im Vordergrund des Konfliktes steht.
Diese Zahlen sagen natürlich nichts darüber aus, wie viele Menschen nun tatsächlich Mediation nutzen, aber sie verdeutlichen das Potential. Alleine aus dem Glauben an eine bessere Lösung durch Mediation entsteht allerdings noch keine reale Mediation. Vielleicht können wir uns weniger auf die Verbreitung des Wissens über das Verfahren konzentrieren, sondern mehr auf das, was man von einer Mediation hat. Um eine andere Branche zu bemühen: Zahnärzt:innen beschreiben ja auch eher, was das Besondere ihrer Arbeit ist, als das sie uns erklären, wie sie genau was machen.
Wir würden das hier gerne von zwei Seiten betrachten. Zum einen, was könnte Menschen dazu bringen, wirklich in die Mediation zu gehen und zum anderen, wie können wir als Mediator:innen so sichtbar werden, dass potentielle Kund:innen uns auch finden. Anders gesagt: Wie kann sich der Wunsch nach Konfliktklärung mit unserem konkreten Angebot verbinden?
Sich auf diejenigen konzentrieren, die offen für Mediation sind
Der Philosoph Ernst Bloch sprach in den 1930er Jahren von Ungleichzeitigkeiten in der Gesellschaft, um zu beschreiben, dass sich nicht alle in der Gesellschaft auf demselben Fortschrittsniveau befinden. Er meinte damit, dass es Teile der Gesellschaft gibt, die eher traditionell sind, andere dagegen moderner.3 Frederic Laloux hat diese Idee mit dem Nebeneinander von unterschiedlichen Organisationsformen, von tribal über traditionell bis hin zu integral aufgegriffen.4 Auf unser Thema bezogen würde das bedeuten, dass es Branchen oder Milieus gibt, die für Mediation offen sind und andere, die, weil sie stark in Hierarchien denken, sie an vorzugebende Lösungen glauben, weniger offen für kooperative Bearbeitungsformen sind. Unsere Erfahrungen der letzten Jahre sind, dass wir niemanden von Mediation überzeugen können, der nicht prinzipiell offen für einen solchen Weg ist.
Wir können also unsere Zeit eher darauf verwenden, mit denjenigen ins Gespräch zu gehen, bei denen unser Angebot auf offene Ohren stößt, die ihrem Wunsch nach Veränderung nachgehen wollen und sich dabei eine professionelle Begleitung wünschen. Das gilt für das Miteinander auf Augenhöhe in modernen Organisationsformen und das Gestalten von kooperativer Führung genauso wie die Klärung von Konflikten. Das Miteinander auf Augenhöhe ist auf dem Vormarsch, es wird also mehr und mehr zu tun geben.
An die Kulturen der Konfliktparteien andocken
Unsere Kund:innen wollen sich mit dem, was wir anbieten, verbinden können. Während die einen es gewohnt sind, über Gefühle und Bedürfnisse zu reden, ist das für die anderen eher ungewöhnlich. Menschen, die im sozialen Bereich arbeiten kennen das, während es für andere, die eher aus einer technischen Branche kommen, eher nicht zum Arbeitsalltag gehört. Die Not des Konfliktes ist bei allen gleich, es braucht nur eine unterschiedliche Art der Ansprache. Während die einen die Zusicherung brauchen, dass es viel Platz für den Austausch über Gefühle und Bedürfnisse gibt, brauchen andere die Versicherung, dass wir an Lösungen arbeiten. In der Mediation können wir uns auf diese Bedürfnisse immer wieder fokussieren und damit allen Beteiligten gerecht werden.
Es geht nicht um das Verfahren, sondern um das, was die Menschen von Mediation haben
Menschen, die Konflikte haben, möchten nicht unbedingt wissen, was wir in den Phasen der Mediation so ganz genau machen, sondern was sie davon haben, eine Mediation zu machen: wieder gut miteinander arbeiten können, ihre Energie auf die wirklich wichtigen Dinge des Lebens lenken, wissen, dass das nun mit ihren Kindern gut läuft usw. In den Gesprächen, die potentielle Kund:innen mit uns führen, geht es darum, eine Zuversicht spüren, dass wir sie bei der Lösung ihrer Konflikte unterstützen können. Es reicht oftmals aus, zu sagen, dass wir aufpassen, dass sie ihre Sicht der Dinge darlegen können und wir sie dabei unterstützen, das Kuddelmuddel zu entwirren. Lasst uns also mehr davon reden, was die Menschen von uns haben, als davon zu reden, was wir wie machen.
Lösungen statt Probleme
Wir alle brauchen eine Perspektive, eine positive Vision der Zukunft. Das ist es was uns motiviert, die notwendigen Veränderungen anzugehen. Wir können noch viel mehr kommunizieren, was wir Positives beitragen können, anstatt von Konflikten, schrecklichen Arbeitssituationen, familiärem Unfrieden usw. zu reden. Also weniger: „An Ihrem Arbeitsplatz gibt es eine grauenvolle Stimmung, wir können helfen“, sondern mehr: „Wir unterstützen Sie hin zu einem produktiven Klima“.
Knowing does not mean doing
Jeder kennt sie, die knowing-doing-gap. Allein die Kenntnis von Mediation und deren positive Bewertung heißt noch nicht automatisch, dass es auch zu Mediationen kommt. Es ist ein Weg dahin, und sowohl die künftigen Mediand:innen als auch wir Mediator:innen gehen diesen Weg und bestenfalls treffen wir uns unterwegs.
Wir kennen das von uns selbst: je mehr Schritte es braucht, um etwas zu beginnen, wie z.B. weniger oder „gesünder“ zu essen, sich von Gewohnheiten zu lösen, desto schwieriger ist es loszugehen und auf dem Weg zu bleiben. Wir als Mediator:innen sollten es unseren Kund:innen so einfach wie möglich machen mit uns in Kontakt zu kommen: Mit einem unverbindlichen Beratungsgespräch, Einzelgesprächen als Einstieg in eine Mediation oder zunächst ein Konfliktcoaching allein, das ist manchmal einfacher anzugehen als mit dem anderen gleich in eine Mediation zu gehen. Und insgesamt müssen wir für potentielle Mediand:innen leicht erreich- und sichtbar sein: Mit offenen (online) Sprechstunden, niedrigschwelligen Beratungsangeboten, kostenlosem Vorgespräch, für Kund:innen nachvollziehbare Qualitätsstandards, gute und aussagekräftige Übersichten über Mediator:innen in der Nähe, mehr Kooperationen zwischen Professionen, die mit Menschen im Konflikt zu tun haben… Nur um ein paar Ideen zu nennen.
Botschafter:innen für das werden, was wir tun
Ohne es mit Zahlen belegen zu können, scheint es in Gegenden, in denen es viele Mediator:innen gibt, mehr Mediationen zu geben. Das mag daran liegen, dass das auch Gegenden sind, in denen Menschen prinzipiell offener für konsensuale Lösungen sind, aber es liegt sicher auch daran, dass viele Mediator:innen viel über Mediation reden und ihre Begeisterung für das Verfahren teilen. Und das tun sie nicht nur im Privaten, sondern auch an ihren Arbeitsplätzen, ihren Freundeskreisen und Nachbarschaften. Im Evaluationsbericht zum Stand der Mediation aus dem Jahr 20195 ist die Rede von 7500 aktiven Mediator:innen in Deutschland.5 Die Zahl der ausgebildeten Mediator:innen dürfte um einiges höher liegen, konservativ geschätzt mindestens 40.000.6 Das sind lauter Botschafter:innen der Mediation, die in ihren Kontexten das Vertrauen ihrer Freund:innen, Nachbarinnen und Kolleg:innen genießen.
Und nur nebenbei: Viele (erfolgreiche) Mediationen bedeuten auch viele Empfehlungen für Mediation.
Gelegenheiten schaffen, wo Menschen Vertrauen zu uns gewinnen können
Mediator:innen, die schon viele Mediationen gemacht haben, bekommen viele Anfragen, Mediator:innen, die bislang wenige Mediationen gemacht haben, wenige. Das liegt nicht unbedingt an der Kompetenz der Kollg:innen, sondern eher an der Kompetenzvermutung der Kund:innen. Die Kolleg:innen, die viel machen, sind sichtbarer und werden häufiger weiter empfohlen.
Mediation ist Vertrauenssache. Wir sollten also möglichst vielfältige Gelegenheiten schaffen, wo Menschen uns und unsere Art zu arbeiten kennen lernen können. Das kann ein Seminar, eine Präsentation oder auch ein Gespräch auf einer Party sein, wo wir sichtbar werden in unserer Art mit Menschen zu kommunizieren, ihnen mit Wertschätzung zu begegnen, mit ihnen auf Augenhöhe zu sein. Es kann auch eine Mediation im Tandem mit Mediator:innen sein, die einen unterschiedlichen Erfahrungsschatz haben.
Sichtbar werden
Wir werden dann angefragt, wenn wir auch sichtbar sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass euch jemand auf der Straße anspricht und euch nach einer Mediation fragt, ist sehr gering. Konflikte haben viele Menschen, nur ein kleiner Teil davon wird und muss mit Mediation gelöst werden. Das ist auch gut so, denn Menschen können die meisten Konflikte selbst lösen. Uns muss es um diesen kleineren Teil gehen. Das bedeutet aber auch, dass wir viele Menschen mit unserem Angebot erreichen müssen und das geht nur bedingt im persönlichen Umfeld. Wenn jeder hundertste einen Konflikt hätte, der mit Mediation gelöst werden sollte, brächtest du, um fünf Mediationen im Jahr zu machen, ca. 500 verschiedene Kontakte. Und das unter der Voraussetzung, dass all deine Kontakt dann die Mediation auch bei dir machen- Das ist aber illusorisch. Wir müssen also viel mehr Menschen erreichen. Und das geht nur, indem wir im Internet, in verschiedenen Social-Media-Kanälen, im Café, auf dem Marktplatz oder wo auch immer mit unserem Angebot sichtbar werden.
1) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/167531/umfrage/bekanntheit-von-mediation-in-deutschland/ abgerufen am 5.01.2023 2) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/167548/umfrage/praeferenz-von-mediation-oder-gerichtsverfahren-nach-art-des-rechtsstreits/ abgerufen am 5.01.2023 3) Ernst Bloch: Erbschaft dieser Zeit. Frankfurt am Main 1962. 4) Frederic Laloux. Reinventing Organizations, München 2015. 5) https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Mediationsgesetz_Evaluationsbericht.htmlabgerufen am 5.01.2023 6) https://www.wiki-to-yes.org/Mediationsreport-2019 abgerufen am 15.12.2022
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