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(Not-)Lügen

und wie wir damit (in der Mediation) umgehen können | Newsletter 1/2025

Aus der Kindheit kennen wir alle Sprüche wie „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er sonst die Wahrheit spricht“. In den zehn Geboten heißt es „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden, wider Deinen Nächsten“. Aber schon Wilhelm Busch wusste: "Wer dir sagt, er hätte noch nie gelogen, dem traue nicht, mein Sohn!" Lügen ist menschlich. Doch wie gehen wir in der Mediation mit Lügen um?

„Notlügen“ sind kleine Unwahrheiten, die oft erzählt werden, um eine unangenehme Situation zu entschärfen oder um die Gefühle anderer zu schonen. „Schatz, dass Essen war lecker“ ist so ein klassisches Beispiel. Oder auch: „Der Pulli steht dir“. Notlügen sind in vielen sozialen Interaktionen weit verbreitet. Wir nutzen sie, um Gefühle anderer nicht zu verletzen, einem Konflikt auszuweichen oder um uns selbst in einem besseren Licht darzustellen. Notlügen können sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben.

Bei den positiven Aspekten steht der Schutz der Gefühle weit oben. Sagen Menschen in diesem Kontext die Unwahrheit, geht es ihnen meist darum, die Gefühle ihres Gegenübers zu schützen. Sie haben die Befürchtung, dass die Wahrheit als verletzend empfunden werden könnte und wollen damit dazu beitragen, die Beziehung aufrechtzuerhalten und möchten unnötigen Schmerz vermeiden. Oftmals haben Menschen die Erfahrung gemacht, dass schon die Aufforderung um eine ehrliche Meinung eben doch nicht so ehrlich gemeint ist, wie es vielleicht klingt.

Ein anderer Grund nicht die Wahrheit zu sagen, ist der Glaube, dass sich so ein Konflikt vermeiden lässt. Natürlich können Notlügen helfen, Konflikte zu vermeiden, insbesondere in heiklen Situationen. Sie ermöglichen es, unangenehme Wahrheiten zu umgehen, die zu Streit oder Missverständnissen führen könnten. Aber langfristig helfen sie nicht dabei, eine verfahrene Situation zu lösen. Die Gefahr ist eher, dass es zu weiteren Verstrickungen kommt.

Soziale Harmonie kann ein weiteres Motiv sein, das es ratsam erscheinen lässt, die Wahrheit zu korrigieren: In vielen sozialen Situationen scheinen Notlügen dabei zu helfen, Harmonie zu bewahren. Sie tragen dazu bei, dass sich Menschen wohlfühlen und die Interaktion angenehmer und störungsfreier verläuft.

Manchmal lügen Menschen, um sich selbst zu schützen. Dies kann in Situationen geschehen, in denen die Wahrheit negative Konsequenzen für die eigene Person haben könnte oder man sich vor anderen in einem besseren Licht darstellen möchte.

Es gibt also viele gute Gründe, es manchmal mit der Wahrheit nicht allzu genau zu nehmen. Notlügen helfen aber meist nur für den Moment und sind, gerade wenn wir dauerhaft mit denselben Menschen in Kontakt sind, keine Lösung. Früher oder später müssen auch unangenehme Dinge besprochen werden.

Lügen und Notlügen haben eines jedoch gemeinsam, wenn sie auffliegen, ist der entstandene (emotionale) Schaden meist größer als das eigentliche Problem. Wenn die Wahrheit ans Licht kommt, kann dies das Vertrauen zwischen den Beteiligten erheblich beeinträchtigen. Menschen fühlen sich oft betrogen, wenn sie herausfinden, dass sie belogen wurden, selbst wenn die Lüge als harmlos gedacht war.

Zudem nimmt das Vertrauen in der Beziehung ab. Die betroffene Person könnte beginnen, an der Aufrichtigkeit und Integrität des anderen zu zweifeln, selbst wenn keine weiteren Täuschungen mehr folgen.

Notlügen können zu einer Verfestigung von Missverständnissen führen. Sie wird dann oft als der Beginn eines größeren Problems wahrgenommen, was die Beziehung weiter belastet. „Ich dachte, wir können offen miteinander reden“, ist ein dann häufig gesagter Satz.

Notlügen können eine „Kettenreaktion“ auslösen, bei der weitere Lügen notwendig werden, um die ursprüngliche Lüge zu stützen oder zu rechtfertigen. Dies erhöht den Druck auf den Lügner, da immer neue Unwahrheiten erzählt werden müssen. Es entsteht eine regelrechte Lügenlawine, die mit der Zeit immer komplexer wird und schließlich schwer zu kontrollieren ist. Dies kann zu erheblichem emotionalen und psychischem Stress führen.

Die eigene Authentizität kann eine Notlüge ebenfalls in Frage stellen. Wer regelmäßig lügt, verliert den Zugang zu seiner wahren Persönlichkeit. Dies kann zu einem Gefühl der Entfremdung von sich selbst führen und das Selbstbewusstsein beeinträchtigen. Langfristig kann dies das Gefühl der inneren Unehrlichkeit verstärken, was negative Auswirkungen auf das persönliche Wohlbefinden hat.

Einfach ist es nie, wenn man bei einer Lüge erwischt wird. Egal, ob es sich um eine kleine Notlüge handelt, um unangenehme Situationen zu entschärfen, oder um größere Dinge, die man aus Angst oder Scham gesagt hat. Die Konfrontation mit der Wahrheit kann unangenehm und peinlich sein. Sowohl für die belogene Person als auch für die Lügner:innen. Welche gute Möglichkeit gibt es also mit einer solchen Situation umzugehen?

Das Eingeständnis, eine Notlüge gesagt zu haben, kann unangenehm sein, aber Panik verschärft nur die Situation. Ein ruhiger, offener Umgang mit dem Thema zeigt, dass man Verantwortung übernimmt. Es hilft in dieser Situation nicht, weitere Ausflüchte zu suchen. Dem Gegenüber klar und deutlich zu sagen, warum man zur Notlüge gegriffen hat, hilft jetzt wahrscheinlich am meisten. Dies kann zum Beispiel damit zusammenhängen, dass man jemanden nicht verletzen wollte oder man sich einer bestimmten Situation nicht gewachsen gefühlt hat. Ehrlichkeit mit einem Quäntchen Selbstkritik, kann viel dazu beitragen, Vertrauen wiederherzustellen.

Gleichzeitig ist es für die belogene Person wichtig, zu verstehen, dass eine Notlüge oft als Schutzmechanismus dient. Manchmal erzählen wir sie, weil wir Angst vor den Konsequenzen der Wahrheit haben.


Was bedeutet das jetzt für die Mediation?

In einer Mediation kann es vorkommen, dass eine Notlüge als zentrales Problem identifiziert wird. Zunächst ist es wichtig, den Raum für Offenheit zu schaffen. Der oder die Mediator:in sollte den Beteiligten ermöglichen, ihre Perspektiven ohne Angst vor Verurteilung zu äußern. Eine geeignete Intervention könnte darin bestehen, die Bedeutung der Ehrlichkeit im Kommunikationsprozess zu betonen. Ein Modell hierfür wäre zum Beispiel das Wertequadrat.

Ein weiterer Schritt könnte sein, die Notlüge in ihrem Kontext zu betrachten. Die Mediation kann dabei helfen, die Gründe und Ängste zu erkennen, die zu der Lüge geführt haben. Ein Bild hierfür wäre, das auf den Kopf gestellte Dreieck. Was haben beide Parteien getan, um das Dreieck zu stützen, damit ist in dieser ungewöhnlichen Position bleibt. Übertragen auf die Notlüge hieße das: wie muss sich die Kommunikations- und Beziehungsebene verändern, damit auch schwierige Situationen abgesprochen werden können. Taktvoll, ohne zu verletzen und ohne den Umweg einer Notlüge. Eine empathische Haltung ist hierbei von großer Bedeutung. Zudem kann der oder die Mediator:in die Beteiligten anregen, alternative Lösungen zu entwickeln, um die zugrunde liegenden Konflikte ohne Täuschung zu lösen. Durch diese Interventionen wird das Vertrauen wieder aufgebaut und es entsteht Raum für eine konstruktive Kommunikation.

(Jörn Valldorf)


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